Ein Mensch namens Jesus
Krisilaios zu den Terrassen hinunter, um sich zu vergewissern, daß alle Statuen mit frischen Girlanden geschmückt waren. Dann zog er sich zurück, um ein Bad zu nehmen, seinen wohlgenährten Körper einer Massage zu unterziehen und sich seine gegerbte Haut mit parfümierten ölen einreiben zu lassen. Er erwartete den vornehmsten Besuch, den man in ganz Ägypten empfangen konnte: den Präfekten Gaius Petronius, auf dessen Gunst sein Wohlstand gründete. Einmal bereits hatte er ihn zu Gast gehabt, doch dieser Empfang heute abend sollte den ersten an Glanz noch übertreffen. Er hatte nämlich vor, ihn um einen Gefallen zu bitten. Als Wortführer der Gemeinde der griechischen Kaufleute in Alexandria wollte er erreichen, daß der Präfekt den jüdischen Kaufleuten den Verkauf von Gewürzen untersagte. Der Handel mit Gewürzen, die auf dem Seewege ins Rote Meer kamen und nach Elephantine verladen wurden, um von dort aus auf dem Nil nach Alexandria transportiert zu werden, stellte für die in Ägypten lebenden Griechen eine ihrer Haupteinnahmequellen dar. Bisher war es ihnen geglückt, sich das Alleinrecht darauf zu bewahren. Jetzt aber hatten einige Juden heimlich Verträge mit phönizischen Kaufleuten geschlossen, die aus Abessinien Gewürze einführten — Gewürze von geringer Qualität, versteht sich! — , und zudem umgingen diese Juden auch noch stillschweigende Abkommen, indem sie mit aromatischen Hölzern, im eigentlichen Sinne keine Gewürze, handelten, die theoretisch den Griechen vorbehalten waren. Ja, sie gingen in ihrer Unverschämtheit sogar soweit, Zimt, Vanille und Rhinozeroshorn als medizinische Ingredenzien zu verkaufen... Das konnte man nicht mehr durchgehen lassen! Und Krisilaios übte vor dem Spiegel die Mimik der Entrüstung, die er dem Präfekten zu bekunden gedachte.
Doch der so sorgfältig in Szene gesetzte Plan sollte scheitern. Der Präfekt traf mit einer Stunde Verspätung ein, mit finsterer Miene und ganz vertieft in Gespräche, die er im Flüsterton mit seiner Geleitschaft führte. Er kostete kaum von den Speisen, und erst als er aufbrach und auf den Stufen vor der Villa bereits seine Toga mit einer schweren Granatbrosche befestigte, hatte der Grieche Gelegenheit, dem Römer seine Bitte zu unterbreiten. Doch hörte man ihm überhaupt zu? Gaius Petronius beschäftigte im Augenblick nur noch jene Nachricht, die am selben Morgen mit einem phönizischen Schiff eingetroffen war: Herodes der Große war tot. Rom würde nun mit Sicherheit den Verwaltungsapparat im Orient neu organisieren.
Am anderen Ende der Stadt schüttelte zur gleichen Zeit der Zimmermann Josef in seiner Werkstatt das Sägemehl von Sandalen und Gewand, um zum Abendessen heimzukehren, da tauchte Abraham, der älteste Sohn des Rabbiners Eleasar, mit verstörtem Gesicht auf. »Mein Vater schickt mich«, sagte er. »Er möchte dich so bald wie möglich sprechen.«
»Gebe Gott, daß nichts Schlimmes passiert ist!« rief Josef. »Beruhige dich! Ich glaube, es sind nur gute, wenn nicht sehr gute Nachrichten, die mein Vater für dich hat.«
Josef wies seinen vernünftigsten Lehrjungen an, darauf zu achten, daß alle Lampen sorgfältig geputzt waren, bevor er die Werkstatt abschloß, und eilte, zitternd vor Erregung, mit Abraham zur Synagoge. Im Hof hatte sich eine kleine Menschenansammlung gebildet. Die Frauen warteten vor der Tür und stießen von Zeit zu Zeit schrille Schreie aus. Einige Männer begannen zu singen: »Gelobt sei der Allmächtige! Gelobt sei Er, der uns die Geduld gegeben hat, diesen glücklichen Tag abzuwarten!« Die buschigen Augenbrauen hochgezogen, beeilte sich Josef, zum Rabbiner zu gelangen, von dem er herzlich umarmt wurde.
»Bruder!« rief Eleasar. »Freue dich im Herrn! Herodes ist tot! Die Macht des Bösen, die dem Allmächtigen siebenunddreißig Jahre lang getrotzt hat, ist endlich besiegt! Vor drei Tagen ist die Seele des Tyrannen vor ihrem Schöpfer erschienen, und seine sterbliche Hülle verwest unter einer sechs Fuß dicken Erdschicht im Herodion!«
Josef schloß die Augen und schwankte. Sichere Arme stützten ihn und führten ihn zu einer Bank. Als er die Augen wieder öffnete, ließ er den Tränen freien Lauf. Erst eine halbe Stunde später konnte er sich wieder fassen.
»Sag mir, sag mir!« wollte er mit zittriger Stimme wissen. »Wer ist sein Nachfolger?«
»Es heißt, er habe Philippus, den Sohn, den ihm Kleopatra geschenkt hat, testamentarisch zum Tetrarchen von Trachonitis ernannt«,
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