Ein Mensch namens Jesus
der jüngste Sohn des Priesters, gerade den Hof. Er erkannte ihn und kam ihm entgegen. »Mein Vater erwartet dich«, sagte er.
»Wie sollte er mich erwarten können?« wunderte sich Josef.
Doch Eleasar bestätigte es ihm. »Ich bin kein Hellseher, Josef, aber ich weiß, daß du dich in Alexandria nie heimisch gefühlt hast und daß du, nachdem du auch alt wirst, so bald wie möglich in dein Land zurückkehren möchtest. Wann gedenkst du zu reisen?«
»Morgen.«
»Ich fände es besser, wenn du noch einen Tag wartest. Da ist eine Karawane Nabatäer, die übermorgen hier von Alexandria aus nach Jerusalem aufbricht.«
»Ich habe erfahren, daß eine Karawane Abessinier schon morgen loszieht«, sagte Josef, »und ich hatte eigentlich vor, mich diesen Leuten anzuschließen.«
»Die Abessinier werden dir sicher ein hohes Reisegeld abknöpfen, während die Nabatäer, die ja großzügig sind, kaum etwas von dir verlangen werden.«
»Ich danke dir, daß du so besorgt um mich bist!«
»Manchmal, mein lieber Josef, scheinst du mir einer anderen Welt anzugehören, die nur noch in deinen Erinnerungen, wenn nicht gar ausschließlich in deinen Träumen existiert.«
»Diese Welt wird wiederkommen.«
»Dein Wunsch möge sich erfüllen! Aber erinnere dich daran, daß wir, als wir noch unsere Propheten hatten, ein kriegerisches Volk waren. Heute nun sind wir ein Volk von Händlern geworden. Doch ich habe nicht auf dich gewartet, um dir gute Ratschläge zu erteilen, ich wollte dich vielmehr fragen, wo du dich in Israel niederlassen willst.«
»In Jerusalem selbstverständlich. Meine Söhne erwarten mich dort.«
»Davon würde ich dir abraten. In der Stadt muß es förmlich wimmeln von Intrigen. Manche deiner Feinde werden noch leben; sie könnten gegen dich arbeiten. Außerdem ist Archelaus von Rom noch nicht anerkannt. Es ist durchaus möglich, daß er hinreisen muß, um des Cäsars Gunst zu erbitten. Vielleicht erhebt sich während seiner Abwesenheit das Volk gegen den Sohn jenes Mannes, den es so sehr haßte. Seine Rivalen jedenfalls werden sich keine Gelegenheit entgehen lassen, es dazu anzustacheln. Es könnte Unruhen geben, auf welche die Römer bestimmt mit Blutbädern antworten. Du bist nicht allein für dich verantwortlich, sondern für eine Familie. Ich rate dir, deine Heimkehr nach Jerusalem zu verschieben.«
»Dein Weitblick ist erstaunlich«, sagte Josef.
»Geh doch nach Galiläa! Selten breiten sich Unruhen von Jerusalem bis dorthin aus. Dort wirst du in Sicherheit sein.«
»Ich muß dir nochmals danken für deine Fürsorge.«
Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander, doch Eleasar schien noch etwas auf dem Herzen zu haben.
»Du wirst dem Kind von nun an ein Vater sein müssen«, brachte er schließlich hervor.
Der alte Mann fühlte seine Ohren rot werden. Dieser Rabbiner war ein Fuchs.
»Es ist ein Geschenk des Allmächtigen«, fuhr Eleasar fort. »Und es scheint begabt zu sein. Als du Jesus vor dem Passah-Fest hierher mitgebracht hast, habe ich ihn beobachtet und auch ein wenig mit ihm gesprochen. Er ist recht aufgeweckt für sein Alter. Willst du einen Priester aus ihm machen?«
Josef betrachtete eingehend die Steinplatten des Fußbodens. »Ich gehöre dem Stamm Davids an«, sagte er endlich, »und ein Priester meines Stammes müßte in Jerusalem oder besser noch in Bethlehem ausgebildet werden. Wenn wir aber nach Galiläa gehen...«
»Ich verstehe«, meinte Eleasar kühl. »Aber bedenke es trotzdem.«
»Ich muß jetzt gehen.«
»Nimm dies bitte mit«, sagte Eleasar und reichte dem Besucher den kleinen Stoffbeutel, in dem vier Jahre zuvor die Perle gelegen hatte. Josef öffnete ihn; die Perle lag immer noch darin. »Du hast sie also nicht verkauft«, stammelte er. »Und woher kam dann das Geld, das du mir für sie gegeben hast?«
»Wir verfügen über besondere Geldmittel, um Leuten wie dir zu helfen. Es sind meist Spenden der reichsten Kaufleute. Ich dachte mir, du kannst die Perle vielleicht noch einmal gut gebrauchen, denn ich habe nie geglaubt, daß du für immer in Alexandria bleibst. Und du wirst bald Geld nötig haben, um dich in Galiläa niederzulassen.«
»Der Herr möge dich segnen!«
Glücklich war Josef nicht, als er sich auf den Heimweg machte. Er hatte es nicht gern, wenn man ihm eine Lektion erteilte, und der Rabbiner hatte ihm gleich zwei mitgegeben: eine in Hinsicht auf Jesus und die andere, was Großzügigkeit betraf, seine guten Ratschläge zur Frage, wo er sich in Israel
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