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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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erklärte der Rabbiner. »Herodes Antipas, der Sohn aus seiner Verbindung mit Malthake, wird Tetrarch von Galiläa, und sein anderer Sohn Archelaus ist König. Doch Cäsar Augustus wird diese Beschlüsse erst noch billigen müssen.«
    »Archelaus...«, murmelte Josef. »Werden wir denn nie diese Brut los! Demnach bleibt also seine ganze Familie an der Macht.«
    »Was hast du denn geglaubt?« fragte der Rabbiner. »Aber hast du Gründe, diese drei Männer zu fürchten? Bist du auch mit Archelaus aneinandergeraten?«
    »Nein«, antwortete Josef leise und schüttelte den Kopf.
    Einige Männer wollten Dankesopfer darbringen, doch sie hatten keine Tauben zur Verfügung; sie beschlossen, die Zeremonie auf den nächsten Tag zu verschieben.
    »Begleite mich bitte nach Hause!« bat Josef den Abraham. »Meine Beine sind heute abend zu schwach.«
    Er weinte noch immer, und sein Bart war tränenfeucht, als er vor seinem Haus anlangte. Er verabschiedete Abraham, ließ die Tür hinter sich ins Schloß fallen und setzte sich, den Blick gedankenverloren ins Halbdunkel gerichtet, auf den Boden.
    »Wer ist da?« rief eine Frauenstimme. »Bist du es, Josef?«
    Es war, als hätte Josef die Sprache verloren. Maria eilte herbei. Mit der Anmut ihrer Jugend und der Unbekümmertheit in ihrem Blick schien es vorbei zu sein. Sie glich einer dunklen Rose, die jeden Augenblick dahinwelken kann. Sie hatte Ringe unter den Augen, und unter den Falten ihres Kleides erahnte man die üppige Bauchrundung einer reifen Frau. Diesmal jedoch war es wahrhaft nur ein Zeichen von Wohlgenährtheit; schwanger sollte sie nie wieder werden.
    »Was hast du?« fragte sie mit rauher Stimme. »Sag doch etwas!«
    »Bring mir einen Becher Wasser mit dem Saft einer Zitrone. Dann wird es mir gleich bessergehen. Herodes ist tot.«
    Unter Lobpreisungen des Herrn lief sie in die Küche. Als sie zurückkam, erschien das Kind auf der Schwelle der Küchentür. Es trug eine Lampe, da mittlerweile die Nacht hereingebrochen war, und hielt seine Hand davor, wie man es ihm beigebracht hatte, um die anderen nicht zu blenden. Die Flamme ließ seine Hand bernsteinfarben durchsichtig erscheinen und verlieh seinen braunen Augen und dem dunklen Haar goldenen Glanz. Es stand bestürzt und wie sprachlos vor dem Bild, das sein Vater auf dem Boden sitzend darbot. Es war ein so ernstes Kind, daß man sich unwillkürlich fragte, ob es jemals mit dem Holzpferd auf Rollen spielte, das im Hintergrund seinen übergroßen Schatten auf die Wand warf. Seine Mutter nahm ihm die Lampe aus der Hand und hängte sie an die Wand.
    »Geh und zünde noch eine an!« sagte sie zu ihm.
    Das Kind gehorchte, jedoch in nahezu hochmütiger Weise, während es seinen Schritt verlangsamte, um zu hören, was sein Vater mit schwacher Stimme sagte.
    »Frau, wir werden bald heimkehren nach Jerusalem.«
    »Ja, Rabbi«, erwiderte sie.
    »Und du wirst mich in der Erde meiner Väter und Vorfahren begraben. Und du wirst deine Trauer in Gedanken daran wiegen, daß das Mark meiner Knochen in die Blumen übergegangen ist und die Pupillen meiner Augen die Keime künftiger Lenze nähren werden.«
    »Sprich nicht so, Josef! Ich muß sonst weinen.« Doch sie weinte bereits.
    »Du wirst sehen, Frau, wenn sie zu spät kommen, sind tiefes Leid und große Freude für müde Herzen eine allzu schwere Prüfung. Und man hat nur noch eines im Sinn: Ruhe zu finden im Herrn. Hilf mir bitte, aufzustehen!«
    Es gelang ihm endlich, seiner Glieder wieder Herr zu werden. Das wackelige Gerüst aus Knochen, Gelenken und Sehnen setzte sich in Bewegung. Doch es hielt sich ein wenig gebeugter als für gewöhnlich. Auch die Bartspitzen hatten sich eigenartigerweise gekrümmt.
    »Komm, und iß ein wenig!« forderte ihn Maria auf.
    »Archelaus«, murmelte der alte Mann. »Archelaus. Immer noch wächst Unkraut auf den Feldern.«
    Das Kind beobachtete ihn aus dem dunklen Hintergrund der Küche. »Archelaus. Archelaus«, wiederholte es für sich, als handle es sich um einen Kehrreim. Doch als es sich später schlafen legte, war das letzte Gefühl, das es vor dem Hinüberschlummern empfand, Traurigkeit. Immer waren alle in seiner Umgebung traurig. Warum nur sah man einzig die Heiden ständig lachen?
    Josef erwachte am nächsten Morgen peinlich spät. Er hätte sogar noch länger geschlafen, wären nicht die Schreie der ziehenden Händler, die ihre Gurken und Karotten, ihre Melonen und Feigen anpriesen, und das schrille Feilschen der Frauen gewesen. Manche von

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