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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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Römer verkauft wurden.
    Es gab niemanden, mit dem er wirklich hätte reden können. Josef verfiel mit den Jahren immer mehr und zog sich in mürrische Schweigsamkeit zurück, und Maria, was wußte die schon? Wer hätte ihm sagen können, warum die Juden, die doch schließlich hier zu Hause waren, unter einer Fremdherrschaft standen? Und weshalb sogar ihr König ein Fremder war?
    Gebete und Arbeit, das mußte genügen. Ein Gebet am Morgen, um dem Herrn noch vor dem Aufstehen zu danken, daß Er Seine Geschöpfe mit Vernunft begabt hat. Und wenn man aufgestanden war, ein weiteres Dankgebet, daß Er die Blinden wieder sehend machte und dem Gläubigen den Schritt festigte. Und wieder ein Gebet, nachdem man seinen körperlichen Bedürfnissen nachgegangen war und sich gewaschen hatte, um dem Barmherzigen dafür zu danken, daß Er diejenigen kleidete, die ohne Kleider waren; eines, wenn man sich die Sandalen band, um den Allwissenden zu preisen, der das Ziel aller Wege kannte, und eines, während man sich den Gürtel knotete, um dem Vater zu danken, daß Er Israel stark gemacht hat. (Aber wie war das dann mit den fremden Herrschern im Lande?) Und wieder ein Gebet, wenn man sich die Kappe aufsetzte, um dem Allmächtigen zu danken, daß Er Israel mit Ruhm bedeckt hat...
    Als er eines Tages nach Hause kam, traf er dort auf vier fremde Männer, die Josef mit großer Ehrerbietung behandelten, ihn, Jesus, aber nicht gerade mit sonderlich liebenswürdigen Blicken bedachten. Auch zwei Frauen waren dabei.
    »Deine Brüder«, erklärte Josef, »und deine Schwestern.«
    Jakobus, der Älteste, mußte etwa achtundfünfzig sein. Dann kamen Justus, Simon und Judas, der Jüngste, der zweiunddreißig oder dreiunddreißig Jahre alt sein mußte. Die Frauen hießen Lydia und Lysia. Sie waren Zwillingsschwestern und beide verheiratet, wie übrigens auch Jakobus und Justus. Die Männer umarmten ihn, ganz offensichtlich aus Ehrerbietung ihrem Vater gegenüber. Dann tauchten auch noch wie aus dem Nichts an die achtzehn Knaben und Mädchen auf. Ob sie wohl im Hof draußen gewartet hatten? Einige davon waren ungefähr im gleichen Alter wie Jesus, allerdings konnte er im wachsenden Schatten des Zwielichts ihre Gesichter nicht genau erkennen. Lampen wurden angezündet, die Kinder umarmten Josef. Meine Neffen und Nichten also, dachte Jesus bei sich. Dann wurden bis an den Rand mit Lebensmitteln gefüllte Tragkörbe ausgepackt. Sie hatten ein Lamm mitgebracht; ob man es wohl im Hof braten könne? Jesus’ Augen suchten verstört nach der Mutter, fanden sie aber nicht. Wo konnte sie nur sein? Er suchte sie in der Küche und in den an den Hof angrenzenden Räumen — vergebens. Warum nur kümmerte sich Josef nicht um den Verbleib von Maria? Ob sie wohl einkaufen gegangen war? Jesus lief auf die Straße hinaus, und als er dort draußen stand, verspürte er plötzlich keine Lust mehr, ins Haus zurückzukehren. Maria war verschwunden, und niemand außer ihm achtete darauf. Er hob den Blick und erhaschte im sich verdichtenden Indigoblau der Nacht an einem Fenster des nachbarlichen Obergeschosses den flüchtigen Schatten einer weiblichen Silhouette, der gleich wieder verschwand, in dem er aber seine Mutter erkannt zu haben glaubte. Er rief sie an, ohne eine Antwort zu erhalten, und kehrte verwirrt ins Haus zurück. Drinnen machten sich Lydia und Lysia in der Küche zu schaffen und verrichteten die Arbeiten, die bisher nur Maria vorbehalten waren: Sie kochten dicke Bohnen, reinigten Salat, schälten Zwiebeln und hantierten dabei wie selbstverständlich mit den Küchengeräten, die er eigentlich immer für das alleinige Eigentum seiner Mutter gehalten hatte. Die Brüder Justus und Judas gingen zum Wirt einer nahe gelegenen Herberge, um sich bei ihm einen Spieß und Stützen für das Lamm auszuleihen. Das alles wurde dann im Hof aufgestellt, gemeinsam mit den drei Dutzend Trinkkrügen für den Wein, den sie in einem Schlauch mitgebracht hatten.
    Besonders befremdend aber war Josefs Fröhlichkeit und der Umstand, daß er, ganz abgesehen von Maria, auch an seinen jüngsten Sohn keinen Gedanken mehr zu verschwenden schien.
    Offenbar wurde seine zweite Ehe von diesen Leuten rundweg geringgeschätzt. Aber warum? Als zwei Stunden später endlich das Essen fertig war und alle sich gesetzt hatten, als Josef ein Dankgebet gesprochen hatte, das Jesus zum erstenmal schwülstig und schier endlos vorgekommen war, und als sie dann zu essen begannen — Jesus war auf den Platz

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