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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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Mittelschiff, den breiten Seitenflügeln und dem mit Alabasterplatten gefliesten Fußboden. Nur, es war ein Centurio gewesen, ein Römer und Judenfreund, der sie mit seinen Denaren finanziert hatte. Wie konnte es zugehen, daß ein Römer die Juden mochte, und wenn er sie mochte, wie konnte er dann Heide bleiben? Schlimmer noch, gab es wohl demnach auch Juden, die mit den Römern gut Freund waren? Tatsächlich: Die Abneigung der einen den anderen gegenüber gab es in Kafarnaum nicht. Womöglich war diese Synagoge gar ein Geschenk des Bösen...
    Josef machte zwei oder drei Vorstöße, das Thema mit dem Rabbiner der Synagoge zu erörtern, doch dieser gehörte zum selben Schlag wie der Alexandriner Eleasar: Er war viel zu tolerant. Höflich wollte er Josefs Bedenken zerstreuen, und da er annahm, der alte Mann wollte ihm schöntun, um einen materiellen Vorteil zu erreichen, schlug er ihm den einen oder anderen neuen Kunden vor. Damit verdarb er es sich natürlich endgültig mit Josef. Ja, er trat sogar noch tiefer ins Fettnäpfchen.
    »Und dein Sohn, mein Bruder, schickst du ihn nicht in unsere Schule?« fragte er.
    »Ich werde ihn selbst unterrichten«, entgegnete Josef.
    »Ich spreche natürlich nicht vom Zimmermannshandwerk«, beharrte der Rabbiner, »sondern von den Heiligen Büchern.«
    »Das habe ich schon richtig verstanden«, brummte Josef abweisend in seinen Bart hinein.
    Das Kind war jetzt fünf Jahre alt. Josef brachte Jesus allmählich das Handwerk des Zimmermanns bei, indem er ihn in seiner Werkstatt auf einen Schemel setzte, damit er den Gesellen Zusehen konnte. Gelegentlich bat er ihn, hie und da mit Hand anzulegen und beispielsweise die Werkstatt auszufegen, ein Werkzeug zu suchen oder kleinere Besorgungen zu machen. Jesus lernte auf diese Weise einige Grundbegriffe des Handwerks kennen, wie etwa den Unterschied in der Handhabung eines Schlichthobels und einer Rauhbank, die Art und Weise, eine Schneide zu schleifen, und daß man die Zapfen in Richtung der Fasern zuschneiden mußte.
    Mit fünf Jahren wurde ihm beigebracht, wie man ein grob geschrupptes Brett glatthobelt. Zwei Tage lang schmerzten ihn danach noch die Arme. Mit sechs konnte er Holz abschleifen und die Risse, je nachdem, ob das Holz für die Nutzung im Freien oder im Hausinneren bestimmt war, mit Harz oder eiweißuntermischtem Sägemehl ausspachteln. Auch wie man mit einem Drehbohrer ein sauberes Loch bohrt, wußte er. Als Siebenjähriger hatte er gelernt, ein Teil zu schruppen und recht ordentlich zuzuschneiden und Zapfen sowie passende Zapflöcher fertigzustellen. Mit acht Jahren konnte er dann bereits einen Tisch und einen Stuhl zimmern oder auch einen Holzzuber, was eine heikle Angelegenheit war, weil man das Holz nur bis zu einem ganz bestimmten Grad anfeuchten durfte, bevor der Zuber bereift wurde. Außerdem erhielt er seine ersten Lektionen in Holzschnitzerei. Bald waren seinen handwerklichen Kenntnissen nur noch körperliche Grenzen gesetzt. Josef nahm ihn mit in die Stadt und fragte ihn: »Siehst du diese große Tür dort? Wie würdest du sie anfertigen, wenn du lediglich Bretter hättest, die kürzer sind, als die Tür hoch ist?« Oder aber er ermahnte ihn: »Siehst du diese menschlichen Darstellungen? Unser Gesetz verbietet sie. Selbst wenn du dir zutraust, auch dergleichen schnitzen zu können, antworte immer, wenn man dich darum bittet, du könntest es nicht!« Die Lehrlinge hatten Jesus gem. Er war geduldig, ausnehmend höflich und ausdauernd. Und er war ein schönes Kind, nicht nur was sein braunes Haar, die braunen Augen, den goldenen Schimmer seiner Haut oder auch seinen schlanken und bereits muskulösen Körper betraf, nein, auch in dem Schweigen, das ihn umgab, lag Schönheit. Diese Schönheit wurde aus Quellen genährt, die man kaum zu bestimmen vermochte. Er schien in sich ein reiches Reservoir an Träumen und Gedanken zu tragen, das er jedoch mit keiner seiner wenigen Äußerungen oder maßvollen Gesten verriet. Oft ging er nach der Arbeit allein spazieren, um am Ufer des Sees das Zusammenspiel von Wind, Wasser und Wolken zu beobachten oder auch die Fischer, wenn sie ihre Netze einholten. Und manchmal geschah es dann auch, daß er zum Abendessen nicht nach Hause kam, um statt dessen mit den Fischern ihre eintönige Mahlzeit aus gebratenem Fisch, Zwiebeln und Brot zu teilen. Eine karge Kost, die man dem Jungen gerne zugestand, da er häufig half, die Fische nach Art und Größe zu sortieren, wobei die Welse einzig an die

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