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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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Aristophoros augenzwinkernd. »Seltsam. Warum bist du aus Judäa weggegangen? Hattest du dort Ärger?«
    »Du bist Grieche, denke ich. Ich werde nicht so indiskret sein und dich fragen, warum du Griechenland verlassen hast«, gab Jesus zurück, den die Vertraulichkeit des Magiers ärgerte. »Erzähl mir lieber von deinem Beruf und von jenem Meister Dositheus, den du vorhin erwähnt hast.«
    »Nun gut«, sagte Aristophoros, »zunächst möchte ich klarstellen, daß ich nicht wirklich Grieche bin: Meine Mutter ist Syrierin, mein Vater war Kreter, und ich bin in Antiochia geboren. Es ist mein Beruf, die Leiden der Menschen gegen klingende Münze zu lindem. Ich bin in dieses Land gekommen, weil es hier von Kranken wimmelt. Noch nie habe ich so viele Leprakranke, Blinde, Lahme und Mißgeburten gesehen. Und Besessene. Eine einzige Stadt Palästinas beherbergt mehr Dämonen als das gesamte Gebiet um das Schwarze Meer. Ich heile sie also. Mein Handwerk habe ich von einem berühmten, einem sehr großen Mann gelernt: Man nennt ihn den Aufrechten, Hestos. Auch Dositheus, der von Gott Gegebene, oder, in eurer Sprache, Natanael. Er ist ein Prophet. Ein ebenso großer Prophet wie euer Ezechiel«, rief Aristophoros pathetisch, aber offensichtlich ernsthaft aus. »Das Wissen strömt direkt aus dem Reich des Geistes in ihn. Er weiß alles. Alles.« Und zum erstenmal fiel der Magier in tiefes Schweigen.
    »Lebt er noch? Und wo findet man ihn?« fragte Jesus schließlich. »Du weißt nichts!« rief Aristophoros plötzlich völlig zusammenhanglos. »Die Welt ist voller Geheimnisse, die du nicht einmal erahnst. Wie soll ich es dir sagen? Du müßtest alle vergangenen und alle noch kommenden Jahrhunderte durchleben, um nur ein Quentchen Wahrheit zu erfahren. Ja, Dositheus lebt. Er lehrt in Samarien.«
    »Ist er Jude?« fragte Jesus, den der Überschwang seines Gesprächspartners überraschte.
    Aristophoros schloß die Augen. »Du kannst«, sagte er leise, »vom Aufrechten nicht wie von irgend jemandem sprechen. Was spielt es schon für eine Rolle, ob er Jude ist oder nicht? Sind wir nicht alle aus demselben Fleisch und Blut? Sind wir nicht alle Lehmpuppen, auf die ein Funken des göttlichen Lichts gefallen ist? Und wenn wir uns nicht bemühen, dem Licht gerecht zu werden, sind wir dann nicht allesamt Hunde des Teufels? Antworte mir! Weißt du wenigstens das?« schrie er und öffnete die Augen.
    Jesus war vollkommen verblüfft und antwortete nicht.
    »Öffne deine Lungen dem göttlichen Atem, dem Pneuma, und die Weisheit der Welt wird in dich fließen... Atme das Licht ein... und die Weisheit wird in dir bis ins unsägliche anwachsen... Und schließlich wirst du an jenes höchste Nichts des Lichts gelangen und im Ansich eingehen... Und dein irdisches Sein wird aufhören zu bestehen. Das Böse hat verloren. Das Wort hat das Chaos bezwungen. Du wirst im logos anthropos herrschen, aber dein Ich wird dann nichts mehr bedeuten!«
    Jesus war diesem Wortschwall aufmerksam gefolgt. Er hörte aus ihm Spuren einer Lehre heraus, in der gewiß mehr steckte, als dem erregten Vortrag des Magiers zunächst zu entnehmen war. Er kam sich vor wie ein Schriftgelehrter, der ein schmutziges und zerrissenes Buch zu entziffern sucht. Zudem verunsicherte ihn die Diskrepanz zwischen Aristophoros’ theatralischem Getue und seiner von Dositheus inspirierten Beschwörung.
    Diesen Gedanken hing er gerade nach, als der Magier beinahe traurig murmelte: »Nein, Dositheus ist kein Jude. Du findest ihn in Salim in der Nähe von Änon.«
    »Und warum bist du nicht bei ihm? Warum hast du ihn verlassen, wenn du ihn so sehr bewunderst?«
    Anstelle einer Antwort bekam er einen exaltierten Seufzer zu hören. »Im Namen der Wahrheit!« rief der Magier dann aus. »Die Wege des Bösen sind zahllos. Ich schwöre. Diese Frau...« Und seine Stimme schlug in einen fast unhörbaren Baß um, während er wiederholte: »Diese Frau!«
    »Welche Frau denn?«
    »Luna Helena. Sie ist mit einem von Dositheus’ Schülern names Simon weggelaufen.«
    »Bist du noch bei Verstand?« fragte Jesus. »Was soll denn luna, der Mond, mit Dositheus zu tun haben?«
    »Luna, Menschensohn, ist der Beiname Helenas, der Priesterin, die mit Dositheus zusammenlebte. Sie hat ihn verlassen. Vor einem Monat, oder soll ich sagen, vor einem Mond, nahm Simon, der glänzendste Schüler des Dositheus, Simon, der Mann, der in den Lüften fliegen und Hunderte von Meilen entfernte Menschen besuchen kann, ohne auch nur

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