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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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umgangen, um wieder ins Jordantal zu gelangen und nach Änon, in der Nähe von Salim, wo nach Aristophoros’ Worten Dositheus lehrte. In Änon fragte er, wo der Magier Dositheus zu finden sei. Ein kleiner Menschenauflauf bildete sich. Die Dorfbewohner hatten sehr wohl schon von jenem — wie hieß er doch gleich? — , ja, von jenem Dositheus gehört, aber niemand wußte genau, wo er sich aufhielt.
    »Hier in der Gegend gibt es viele Magier«, teilte man ihm mit. »Die meisten sind in den Gilboa-Bergen zu finden.«
    Am nächsten Morgen machte er sich also wieder auf den Weg, und um die Mittagszeit erblickte er in der Ferne ein Haus, von dem bläulicher Rauch aufstieg, ein weißer Fleck inmitten einer Baumgruppe. Auf halbem Wege begegnete er seltsam gekleideten Männern. Sie hatten kahlrasierte Schädel und um den Körper ein einziges großes Stofftuch geschlungen, das eine Schulter unbedeckt ließ, eine Gewandung, die ein wenig an die der Ägypter erinnerte. Beim Näherkommen entpuppte sich das Haus unter den Bäumen als eine Gruppe von Gebäuden. Er ging auf das größte zu; seine Eingänge hatten keine Türen. Andere, ähnlich gekleidete Männer tauchten auf und musterten ihn unverwandt.
    »Ist dies das Haus des Dositheus?« fragte er auf aramäisch.
    Keine Antwort; er wiederholte seine Frage in schlechtern Griechisch. »Dies ist das Haus des Lotus, mein Bruder; wir nennen es auch den Tempel der Glückseligkeit. Hier gibt es niemanden, der Dositheus heißt«, erwiderte ein Greis mit glattgeschorenem Schädel in ausgezeichnetern Aramäisch.
    »Was ist denn das Haus des Lotus?« fragte Jesus verwirrt.
    »Aber bitte, tritt doch ein und sieh selbst!«
    Zahllose Augenpaare waren auf ihn gerichtet. Dies war kein jüdisches Haus; es war nach fremdländischen Plänen erbaut. In der Mitte des ersten, sehr geräumigen Raumes thronte die in schwarzen Stein gehauene Statue eines Mannes in eigentümlicher Hockstellung. Er hatte schrägstehende Augen und lächelte. Die Lichter einer Vielzahl von Lämpchen tanzten über den steinernen Mann und verliehen ihm einen lebendigen Ausdruck. Der Sockel war mit Blumen übersät. Weitere Anhänger des unbekannten Kults saßen oder hockten um die Statue herum, ohne Jesus Beachtung zu schenken. Der Raum führte in einen großen Hof, in dem ein anderer Greis ebenso eigenartig auf dem Boden hockte und in schlechtern Griechisch zu den um ihn herum Versammelten sprach. Das war gewiß nicht Dositheus. Doch welche Religion vertrat er?
    »Bist du ein neuer Schüler?« wollte der Mann, der ihm geantwortet hatte, wissen. »Oder suchst du nur diesen Dositheus?«
    »Wie könnte ich ein Schüler sein, wenn ich deine Religion gar nicht kenne?«
    »Wir lehren keine Religion.«
    »Was dann?«
    »Sophia, die Weisheit«, antwortete der Mann lächelnd.
    »Aber ihr habt einen Gott?«
    Der Mann schüttelte den Kopf. »Wir lehren die Verschmelzung des einzelnen mit dem allumfassenden Geist. Wir haben keinen solchen Gott, wie ihr Juden ihn verehrt. Bist du ein Samariter?«
    »Nein, ich komme aus Galiläa.«
    »Was tust du dann in dieser Gegend, von der deine Landsleute behaupten, sie sei unreiner als ein Grab, und unter Menschen, von denen es heißt, sie seien unreiner als Schweine?« fragte er mit erhobener Stimme.
    »Ich sehe schon, du bist selbst Samariter«, erwiderte Jesus. »Dichte mir keine Gefühle des Hasses an, die ich nicht empfinde«, fügte er hinzu.
    »Du bist Galiläer und hältst Samariter nicht für unreiner als Schweine?«
    Jesus schüttelte den Kopf. Der Mann musterte ihn neugierig.
    »Wie kommt es, daß ein Samariter eine Philosophie annimmt, die keinen Gott kennt?« fragte Jesus.
    »Ich bin kein Samariter, wenngleich ich auch in Samarien lebe. Ich bin Idumäer«, erklärte der Mann. »Die Lehre, der ich mich anschloß, hat mir Frieden gebracht. Ich habe mich mit deinem Volk und der Religion, die es ausübt, beschäftigt. Sie haben mich beide enttäuscht.«
    »Wer ist der Meister deiner Lehre?«
    »Ein Mann, der in einem weit entfernten Land gelebt hat, jenseits des Pontus, des Persischen Golfs und des Erythräischen Meeres. Er hieß Buddha.«
    »Und was lehrt Buddha?«
    Der Mann lächelte, kniff die Augen zusammen und suchte nach Worten. »Daß alles im Nichts endet«, antwortete er endlich.
    Sie standen sich still gegenüber, etwas verwirrt von all den Gedanken, die sie in diesem Augenblick beschäftigten.
    »Und warum suchst du Dositheus«, begann der Buddhist schließlich wieder, »wenn

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