Ein moerderisches Geschaeft
Angst gemacht hat, nachdem ich das Tagebuch gelesen hatte?«
»Was?«
»Ich fürchtete, dass ich eines Morgens aufwachen und genau wie sie sein würde. Du weißt schon: Dr. Jekyll und Mr. Hyde. In genetischer Hinsicht bin ich für immer mit ihr verbunden.«
»Das wird nie passieren, Avery.«
»Woher willst du das wissen?«
»Du hast ein Gewissen. Das wird nicht einfach so verschwinden. Du bist ganz und gar nicht wie sie.«
»Das hat mir Dr. Hahn auch gesagt.«
»Wer ist Dr. Hahn?«
»Ein Psychiater. Ich schreckte jede Nacht schreiend aus dem Schlaf und Carrie brachte mich in ihrer Verzweiflung zu Dr. Hahn. Ich musste Carrie versprechen, keiner Menschenseele davon zu erzählen, weil sie nicht wollte, dass mich die Leute für verrückt hielten.«
»Sie machte sich Gedanken über das, was die Leute sagen könnten?«, fragte John Paul und bemühte sich, seinen Unmut nicht zu zeigen.
»Dr. Hahn war wundervoll. Er hat mir geholfen, die Dinge … zu bewältigen – ja, so könnte man das ausdrücken. Carrie wusste nicht, weshalb ich diese Alpträume hatte; ich habe ihr nicht erzählt, dass ich heimlich ihr Tagebuch gelesen hatte. Ich glaube, es war die dritte oder vierte Sitzung, als Dr. Hahn sie bat, mit hereinzukommen; und damals beichtete ich ihr, was ich getan hatte. Sie bekam natürlich einen Anfall, aber als der Psychiater sie beruhigt hatte, fragte er sie, ob er dieses Tagebuch auch lesen dürfe, und sie erlaubte es ihm. Sie hätte alles getan, um mir zu helfen, das loszuwerden, was sie meinen nächtlichen Horror nannte.«
Sie lächelte John Paul an, als sie die Beine vom Sofa schwang. »Ich glaube, Dr. Hahn hatte auch Alpträume, nachdem er Tante Carries Aufzeichnungen gelesen hatte. Ich bin mit dem Wissen aufgewachsen, dass Jilly verrückt war, und Carrie erzählte mir einige Storys über sie; aber das war alles nichts im Vergleich zu dem, was in dem Tagebuch stand.«
»Was hat Hahn über Jilly gesagt, nachdem er es gelesen hatte? Wie war seine Reaktion?«
»Er war aufgeregt.«
»Aufgeregt?«, wiederholte John Paul verständnislos.
»Er war sicher, dass Jilly eine reine Soziopathin war, und er wünschte, er hätte die Gelegenheit gehabt, mit ihr zu sprechen und sie zu studieren. Aus dem, was er gelesen hatte, schloss er, dass Jilly moralisch und emotional verkümmert war, und deshalb glaubte er, dass sie unfähig war, Schuld oder Reue zu empfinden. Der Schmerz anderer ließ sie jedenfalls kalt. Es machte ihr sogar Spaß, Menschen ohne ersichtlichen Grund zu verletzen. Sie liebte das und war Meisterin darin, anderen die Schuld in die Schuhe zu schieben und die Dinge so hinzudrehen, dass sie ihr nützten. Sie war eine Lügnerin und Betrügerin.«
John Paul stellte die Füße auf den Boden, beugte sich vor und stützte die Arme auf die Knie.
»Es war … erstaunlich, wie sie die Menschen manipulierte. Alle liebten sie, egal was sie tat. Sie war verdammt gerissen.«
»Gib mir ein Beispiel.«
»Als sie noch ziemlich jung war, lebte sie ihren Sadismus an Tieren aus. Sie quälte Carries Katze und tötete sie, indem sie sie mit Benzin übergoss und anzündete. Sie erzählte Carrie von ihrer Tat, aber in Gegenwart ihrer Mutter weinte sie und behauptete, sie hätte die Katze geliebt. Eine der Nachbarinnen schenkte ihr tatsächlich ein Eis, um sie zu trösten. In der Oberstufe der Highschool vergnügte sie sich mit Größerem. Sie war natürlich das beliebteste Mädchen der ganzen Schule. Alle liebten Jilly. Ein Mädchen namens Heather Mitchell wurde zur ›Homecoming Queen‹ und Jilly zu ihrer ersten Hofdame gewählt. Laut Carrie gab sich Jilly in der Schule überglücklich, zu Hause hingegen tobte und wütete sie stundenlang. Sie hätte fast das ganze Haus verwüstet. Carries Schlafzimmer litt am meisten unter Jillys Wutanfall. Jillys Zimmer blieb selbstverständlich verschont. Nach dem Abendessen wurde Jilly plötzlich ganz still und sie bekam diesen verschlagenen Blick. Nach außen hin tat sie so, als würde sie sich fügen.«
Avery holte Luft. Die Muskeln in ihren Armen schmerzten, und erst jetzt merkte sie, wie fest sie das Kissen umklammerte. Sie ließ es los.
»Am nächsten Tag fehlte im Chemielabor der Schule ein Fläschchen Schwefelsäure. Nach der Schule erwischte Jilly Heather allein, aber Carrie beobachtete aus der Ferne, wie sie Heathers Arm nahm und sie die Straße hinunterführte. Jilly machte Heather klar, dass sie sich lieber nicht beim Homecoming-Wochenende blicken lassen
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