Ein Mord von bessrer Qualität: Ein Fall für Lizzie Martin und Benjamin Ross (German Edition)
seine Folgen haben.«
Bessie schien sehr deprimiert, deswegen fuhr ich fort: »Da es keine Versammlung gibt, die wir besuchen könnten, Bessie – warum nimmst du dir nicht ein wenig Zeit für dich selbst? Du musst mich nicht nach Hause begleiten. Gibt es niemanden, den du gerne besuchen würdest?«
»Nicht hier in dieser Gegend«, antwortete Bessie. »Ich kenne bloß in Marylebone Leute, wo ich früher gewohnt habe, im Haus von Mrs. Parry.«
»Nun denn …« Ich suchte in meinem Pompadour. »Hier hast du das Geld für die Kutsche. Fahr nach Marylebone und besuche Mr. und Mrs. Simms. Ich glaube, sie stehen immer noch in Diensten meiner Tante Parry. Bestimmt freuen sie sich, dich zu sehen und deine Neuigkeiten zu erfahren.«
Bessies Stimmung besserte sich. Der Gedanke, dass sie dem gesamten Hauspersonal am Dorset Square, nicht nur dem von Tante Parry, derart dramatische Neuigkeiten überbringen würde, bot eine wunderbare Gelegenheit, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen.
»Das … das wäre schön, Missus«, sagte sie. »Danke sehr. Vielen, vielen Dank.«
Ich sah ihr hinterher, als sie davoneilte, und setzte meinen Heimweg alleine fort. Es wurde bereits dunkel. Der Laternenanzünder machte seine Runde. Ich überlegte, ob Ben bereits zu Hause war, bis ich dort ankam, nachdem er Styles, O’Reilly und den Gefangenen der beiden sicher zum Zug gebracht hatte. Doch er war noch nicht zurück, als ich ankam, und unser kleines Haus lag still und verlassen da.
Ich zog meinen Mantel und die Haube aus, kontrollierte das Feuer im Wohnzimmer und ging nach draußen in die Küche. Ich wusste nicht, ob Ben Gelegenheit gefunden hatte, etwas zu Mittag zu essen. Wahrscheinlich hatte er gewartet, bis der Zug nach Manchester abgefahren war, um dann ein Steakhaus in der Nähe der Euston Station aufzusuchen. Aber für den Fall, dass er doch nichts gegessen hatte, sollte ich etwas für ihn dahaben. Ich warf einen Blick in die Speisekammer und sah eine gekochte Haxe, die kaum angerührt war. Ein paar gekochte Kartoffeln und ein paar Scheiben vom Fleisch sollten genügen. Ich band mir eine Schürze um, nahm einen Kochtopf aus dem Schrank und setzte mich an den Tisch, um die Kartoffeln zu schälen.
Hinter mir wurde die Küchentür geöffnet, und ein kalter Lufthauch zog mir in den Nacken.
»Bist du das, Ben?«, rief ich, ohne von meiner Arbeit aufzublicken. »Ich bin gerade dabei, uns ein Abendessen zu machen.«
Weil keine Antwort kam, drehte ich mich auf meinem Stuhl um und sah zur Tür.
Es war weder Ben noch Bessie, sondern eine Kreatur wie aus einem Albtraum. Das Phantom! Es war aus seinem Versteck gekrochen, und jetzt war es hier. Ich war mit ihm in meiner eigenen Küche gefangen und saß in der Falle. Die Erscheinung – ich weiß nicht, wie ich es sonst nennen soll – war vom Hals an abwärts in ein blutbeflecktes Leichentuch gehüllt. Das Gesicht war eine weiße Maske, mit Ausnahme der beiden dunkel glühenden Löcher, wo Augen hätten sein sollen. Die Gestalt war von einer Aura aus Bösartigkeit und Niedertracht umgeben, die sich nicht beschreiben lässt. Während ich vor Entsetzen erstarrte, begann sie in hypnotischem Rhythmus von einer Seite zur anderen zu schwanken, wobei das Leichentuch laut raschelte. Die ganze gespenstische Form schimmerte im Licht der Gaslaterne und sah wahrhaft furchterregend aus. Dann stieß sie eine Serie von tiefen grollenden Lauten aus und ging in eine hockende Stellung, als bereite sie sich darauf vor zu springen.
Meine anfängliche Starre verschwand. Ich fuhr von meinem Stuhl hoch, der unter lautem Scheppern zur Seite fiel. Während ich voller Entsetzen das Phantom anstarrte, außerstande zu fliehen, weil der Tisch hinter mir war, bewegte es sich auf mich zu. Es gelang mir nicht, die Augen von dem unirdischen Anblick zu wenden. Jetzt vermochte ich es auch zu riechen. Es verströmte einen üblen Gestank nach getrocknetem Blut, Flusswasser und irgendetwas Fauligem. Langsam hob es die eingehüllten Arme und streckte die Hände in meine Richtung aus, die Finger zu Klauen verkrümmt.
Ich hielt immer noch das kleine Küchenmesser in der Hand, das ich zum Kartoffelschälen benutzt hatte. Es war eine armselige Waffe, mit einer kaum acht Zentimeter langen Klinge, doch es war alles, was ich hatte. Ich fand meine Stimme wieder.
»Bleib zurück!«, befahl ich und stieß mit dem Messer nach der Kreatur.
Sie zögerte und stieß ein langes ärgerliches Fauchen aus. Jetzt konnte ich erkennen,
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