Ein nackter Arsch
huschten die Finger des Assistenten über die Tastatur, und es öffnete sich eine Webseite auf dem Bildschirm. „Simone Richter – Psychologische Praxis – Psychotherapie und Beratung“ stand da zu lesen. Und als Simarek das Bild auf der Startseite sah, wusste er sogleich, was der Polizeiobermeister gemeint hatte. Simone Richter sah ausgesprochen gut aus.
„Warum tragen Sie heute keinen Hut?“
Die Psychotherapeutin lächelte, und dieses Lächeln hatte nichts Künstliches, das spürte Simarek sofort. Schon als Simone Richter die Türe ihrer Praxis geöffnet hatte, war der Kommissar von ihrer Ausstrahlung fasziniert gewesen. Solchen Menschen begegnete er selten. Simone Richter trug ihre mittellangen braunen Haare zu einem kurzen Zopf zusammengebunden und sah deutlich jünger aus als sechsunddreißig. Trulli hatte für Simarek vorab ihr Alter recherchiert. Simone Richter wirkte auf den Kommissar offen und souverän. Gleichzeitig spürte Robert Simarek auch eine gewisse Fragilität.
„Der Hut ist ein Spleen von mir“, antwortete Simone Richter. „Ich trage ihn häufig, aber nur außer Haus. Und da meine Klienten mir gesagt haben, er mache mich interessant und lasse mich irgendwie kompetent wirken, habe ich das Bild mit dem Hut auch auf meiner Homepage. Gesine Mollet hat der Hut auch gefallen. Das ‚irgendwie kompetent‘ stammt von ihr.“
Ohne Umschweife war die Therapeutin zum Thema gekommen.
„Sie sind keine Freundin von Umwegen?“
„Manchmal führen die Umwege schneller ans Ziel.“ Simone Richter lächelte. „Das gilt auch in der Psychotherapie. Aber Sie sind ja nicht zur Behandlung hier.“
„Sie haben Recht. Also reden wir über Gesine Mollet. Und ich will gleich offen sein. Am Selbstmord Ihrer Patientin besteht kein Zweifel. Insofern ist dieser Fall für sich eigentlich abgeschlossen.“
„Aber Sie vermuten einen Zusammenhang mit dem Tod von Alfons Schmidtbauer, ihrem ehemaligen Chef.“
Simarek war überrascht. Der Satz der Psychologin klang weder fragend noch spekulativ. Er war eine simple Feststellung.
„Besteht denn einer?“ Simarek war jetzt hochkonzentriert.
„Jedenfalls besteht ein Zusammenhang zwischen Schmidtbauer und Gesines Tod, auch wenn man Schmidtbauer im juristischen Sinne natürlich nicht dafür verantwortlich machen kann. Jetzt ja ohnehin nicht mehr. Sie wissen, dass ich eigentlich nicht über meine Fälle reden darf. Das gilt auch über den möglichen Tod von Klienten hinaus. Aber ich denke, es wäre Gesine Mollet ein Anliegen gewesen, dass sie verstanden wird.“
„Und, haben Sie sie verstanden?“ Der Kommissar wusste, dass diese Frage eigentlich vom Kern wegführte. Er hätte nach den Fakten, nach der Beziehung zwischen Chef und seiner persönlichen Assistentin fragen müssen. Aber das konnte er später nachholen. Jetzt interessierte ihn besonders, was Simone Richter dachte. Er schmunzelte, weil er ahnte, dass in diesem Fall der Umweg schneller zum Ziel führen konnte.
„Ich will Sie nicht mit wissenschaftstheoretischen Überlegungen langweilen, was Verstehen für eine Psychotherapeutin heißt. Dennoch ist das, was hier passiert ist, ein sehr komplexes Geschehen. Ja, ich habe Gesine verstanden und dass sie ihren Weg so gewählt hat. Das heißt aber nicht, es habe keine anderen Möglichkeiten gegeben. Sie merken, ich werde jetzt doch etwas theoretisch. Aber natürlich hat das, was wir tun und was wir fühlen und die Entscheidungen, die wir daraufhin treffen, etwas damit zu tun, wer wir sind und wie wir sind. Für eine andere Frau wären die Spielchen, die Alfons Schmidtbauer mit Gesine gespielt hat, vielleicht nur klärend gewesen, und sie hätte nach einiger Zeit den Absprung geschafft, um eine schlechte Erfahrung reicher. Bei Gesine war das anders. Sie ist irgendwie nie so richtig in der Wirklichkeit angekommen. Die war ihr zu rau. Sie hat am Leid der Welt gelitten, kann man sagen. Und damit auch an ihrem persönlichen Leid. Sie hatte einfach Angst, zu leben. Das ist alles nicht einfach zu erklären. Depression würde die fachliche Diagnose lauten. Das klingt aber so hart und rational, als würde es irgendwas erklären. Und ganz genau trifft der Begriff auch nicht die tiefe Traurigkeit, die wohl das Wesen von Gesine Mollet ausmachte.“
„Melancholie?“, fragte Simarek.
„Welch schöner veralteter Begriff.“ Simone Richter lächelte. „Aber er trifft es ganz gut, diese Mischung aus Weltschmerz und persönlichem Unglück.“
Simarek spürte nun selbst
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