Ein nackter Arsch
merkte Simarek, wie erschöpft er war. Er ließ warmes Wasser in die Wanne laufen, kaute, während er wartete, lustlos auf einer Brezel herum und entkorkte die erste Flasche. Dann setzte er sich auf den Wannenrand und ließ sich langsam in die Wanne gleiten. Tat das gut. Er schloss die Augen und genoss den Augenblick. „Was Montalbano das Meer, ist mir die Wanne…“, dachte er und begann vor sich hin zu summen, eine Eigenart, die er sonst nur noch beim Kochen pflegte. Wie lange hatte er eigentlich kein vernünftiges Essen mehr zubereitet? Zu lange. Aber so ging es immer, wenn der Job sein Leben dominierte. Seine Gedanken kreisten zunächst weiter um den Tathergang, von dem er jetzt schon sehr konkrete Bilder vor Augen hatte. Er fragte sich, ob Schmidtbauer selbst das tödliche Wasser auf den Ofen geschöpft oder ob er in einer dieser modernen Saunen mit automatischem Aufguss gesessen hatte.
Der Kommissar hatte eine solche Sauna vor gut einem Jahr besucht, gemeinsam mit Evi. Es war eine finnische Sauna gewesen, die jeweils zur halben Stunde einen kleinen automatischen Aufguss zu Meditationsmusik anbot. Über die Musik hatten er und Evi noch gelästert, sie fanden das fernöstliche Gedudel eher nervtötend. Aber die Aufgusstechnik begeisterte sie. Kein störender Bademeister, der mit einem Handtuch wedelte. Und Simarek fand die feinen Wasser- und Schweißperlen auf Evis Körper hoch erotisch. Für Sex war es ihm dann aber doch zu heiß gewesen, auch wenn sie die Sauna ganz für sich hatten. Ein Kollege hatte zwar einmal damit angegeben, wie toll Sex in der Sauna sei. Simarek war das aber deutlich zu anstrengend. Er bevorzugte Kissen und weiche Unterlagen. Sexy fand er Evi in der Sauna trotzdem und versuchte deshalb, die drohende Erektion mit dem Gedanken an Primzahlenzahlen zu bekämpfen. Er war genau bis dreizehn gekommen.
Der Kommissar ließ warmes Wasser nachlaufen. Er wollte am liebsten den ganzen Abend in der Wanne verbringen. Wenn er an Evi in der Sauna dachte, dann war es wieder da, das Gefühl, zu ihr zu gehören. Aber ihm drang auch der offene Konflikt ins Bewusstsein, der im Moment zwischen ihnen herrschte. Er wusste, dass sich dieser nicht aussitzen lassen würde. Ein Gespräch mit Evi würde kommen, und sie mussten sich wohl ernsthafte Gedanken um die Zukunft machen und Lösungen finden. Er wusste, dass er Evi nicht auf ein einfaches „Weiter so“ herunterhandeln konnte. Lange genug hatten beide die Beziehung treiben lassen, jetzt waren sie an einen Widerstand gestoßen. Aber wenn er seine Beziehung verglich mit der zwischen Schmidtbauer und Gesine Mollet, dann war ihm sogleich klar, dass die Strukturen zwischen ihm und Evi keine kranken waren. Da war noch was zu retten, wenn sie das beide wollten. Da musste keiner untergehen. Simarek tauchte unter, um sich das Shampoo aus den Haaren zu waschen. Als er wieder auftauchte, hatte er einen Entschluss gefasst. Das nächste Wochenende wollte er in Köln verbringen, egal, ob der Fall bis dahin gelöst war oder nicht.
Mittwoch, 16. Oktober 2002
„Im Mordfall Alfons Schmidtbauer tappt die Polizei offenbar weiter im Dunkeln. Wie eine Nachfrage unseres Senders beim Polizeipräsidenten ergab, verfolgt man zwar diverse Spuren, hat aber noch keinen Verdächtigen verhaftet. Der Europapolitiker Hanno Gehring von den Freien Wirtschaftsfreunden sagte, er vermute einen wirtschaftspolitischen Hintergrund der Tat. – Das Wetter im Saarland: regnerisch bei sechs bis acht Grad und für die Jahreszeit zu kalt. Das waren die Nachrichten, es ist sieben Uhr fünf.“
„Scheiße“, dachte Simarek. „Sauwetter und dann auch noch dieser Wichtigtuer von den Wirtschaftsfreunden.“ Gehring stand zwar nur an der Spitze einer Splitterpartei, schaffte es aber aufgrund seiner guten Kontakte immer wieder in die Nachrichtensendungen. Jetzt verstand der Kommissar auch, warum der Polizeichef ihm auf die Mailbox gesprochen hatte. Duchene war bekannt dafür, dass er immer nervös wurde, wenn sich die Politik um die Polizeiarbeit kümmerte. Und auch wenn Gehring keinerlei Einfluss auf die reale Politik besaß, der Mord an Schmidtbauer war so wieder im Gespräch und brachte die Polizei in Erklärungsnot. Simarek beschloss, Duchene noch am Morgen zurückzurufen, um ihn ein bisschen zu beruhigen. Die Faktenlage war nach wie vor dünn, das wusste der Kommissar. Aber dafür konnte er mit einigem Hintergrundwissen aufwarten, das belegte, dass die Polizei ihre Arbeit machte. Er wusste,
Weitere Kostenlose Bücher