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Ein Ort zum sterben

Ein Ort zum sterben

Titel: Ein Ort zum sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell
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Takt.
    Redwing summte Nonsensworte. Mallory wiegte sich mit ihr auf der zähflüssig brodelnden Luft.
    Der Junge hörte unvermittelt auf zu schwanken. Er riß die Augen weit auf und tat so, als ob er Tee brühte. Er goß Wasser in die Tassen, gab Teeblätter dazu, schraubte ein Fläschchen auf, goß den Inhalt in die Tasse. Nur in eine Tasse.
    Mallory saß jetzt ganz still. Sie sah in die bräunliche Flüssigkeit, die in ihrer Tasse schwappte. Über dem starken süßen Tee hatte sich ringförmig ein gelblicher Rückstand abgesetzt.
    Eine Droge.
    Klirrend zerschellte die Tasse auf dem Boden. Wie in Wellen wölbte sich das Linoleum unter ihren Füßen. Zweimal fiel sie hin, bis sie die Tür erreicht hatte und ins Wohnzimmer taumelte, wo Ton und Bild des Fernsehers ihre Augen und Ohren marterten. Als sie zum dritten Mal stürzte, kroch sie auf allen vieren weiter. Redwing ging ungerührt neben ihr her, während sie sich über den schmutzigen Teppich zur Tür schleppte. Verfilzte Haare hängten sich in ihren Sachen fest, Krümel schoben sich unter die splitternden Fingernägel. Redwing machte die Tür weit auf und lächelte.
    Mühsam rappelte Mallory sich hoch und lief in Richtung Treppe. Bei jedem Schritt weitete sich der Gang vor ihr und zog sich wieder zusammen. Und wieder stürzte sie; Kopf, Schultern, Beine schlugen auf die harten Steinstufen. Sie roch ihr Blut an den Händen. Es quoll aus allen Poren, füllte den engen Hausflur, schwappte auf die Straße, trug sie mit hinaus, ein Meer von Blut.
    Draußen wirbelten Sterne an ihr vorbei. Sterne, die sie unvermittelt anhupten, anblitzten. Lauter noch als der Straßenlärm war das Rauschen des Blutes in ihren Adern. Sie schmeckte den roten Strom, der ihr über die Augen in den Mund floß. Die wirbelnden Sterne pulsierten in glühenden Farben, wurden größer und größer und platzten wie giftigbunte Eiterbeulen.
    Sie hörte Markowitz rufen, aber sie verstand nicht, was er sagte. Sie roch Backpulver und Blütenduft-Raumspray.
    »Ich sterbe«, rief sie Markowitz zu, der irgendwo in ihrem Gehirn saß, in jener grauen Masse, in der es genauso aussah wie in dem alten Haus in Brooklyn. Markowitz lächelte. »Red kein Blech, Kathy.«
    »Hör auf deinen Vater«, sagte Helen. Sie kam aus der Küche, gelbe Gummihandschuhe an den Händen, und streckte Mallory die Frühstücksbox hin. »Hast du deinen Quarter, Kathy?« Und dann stand Mallory tränenüberströmt vor dem Telefon und wischte sich das Blut aus den Augen, um den Einwurfschlitz für die Münze zu finden.
    »Ich sterbe. Sie hat mich umgebracht. Redwing hat mich mit dem Tee umgebracht«, rief sie ins Telefon, und der Schrecken fuhr dem sanften Mann in dem acht Blocks entfernten Haus derart in die Glieder, daß er sich nicht einmal die Zeit nahm, den Hörer aufzulegen oder die Wohnungstür hinter sich abzuschließen.
     
    Krankenhauslicht macht bekanntlich auch aus kerngesunden Menschen halbe Leichen, aber Charles fand, daß Jack Coffey kränker aussah als Mallory. Die blutunterlaufenen Augen, der zerknautschte Anzug und der Stoppelbart ließen vermuten, daß der Lieutenant gut und gern vierundzwanzig Stunden nicht aus den Kleidern gekommen war. Sergeant Riker sah man so was nicht ohne weiteres an.
    Im Schlaf bot Mallory ein Bild der Unschuld, das ihre grünen Augen im Wachzustand sofort zunichte gemacht hätten. Ein weißer Verband verbarg die Platzwunde am Hinterkopf, die nackten weißen Arme mit den frischen Blutergüssen lagen regungslos auf dem weißen Bettzeug, eine weiße Bandage hielt in der Armbeuge die Kanüle fest, die über den Schlauch am Tropf die Vene versorgte. Ein Monitor am Bett blieb mit Licht- und Tonsignalen ihrem Leben auf der Spur.
    Riker saß auf dem einzigen Stuhl und starrte wie hypnotisiert auf die Lichtzeichen.
    Jack Coffey lehnte an der Wand neben dem Bett. »Redwing ist schlau, aber nicht besonders intelligent«, sagte er. »Erst mal haben wir sie wegen Drogenbesitz drangekriegt. Mit dem Zeugs, das sie bei sich in der Wohnung hatte, hätte sie einen Laden aufmachen können. Es lag ganz offen herum. Auf die Idee, daß wir ihr mal einen Besuch abstatten könnten, ist sie überhaupt nicht gekommen.«
    Coffey sah halb liebevoll, halb irritiert auf die schlafende Mallory hinunter. »Wir werden versuchen, die Anklage auf Drogenhandel zu erweitern.«
    »Wo ist der Junge?« fragte Charles.
    Der Gedanke an den Jungen hatte ihr keine Ruhe gelassen. Noch als sie glaubte, daß sie aus allen Poren blutete

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