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Ein Ort zum sterben

Ein Ort zum sterben

Titel: Ein Ort zum sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell
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Bewegungen. Er fuchtelt ständig mit den Armen herum. Als wir mit ihm durch die Halle gegangen sind, hat er beim Reden die Arme geschwenkt wie Dreschflegel. Ein paar alte Damen, die dort herumstanden, sind auseinandergestoben wie aufgescheuchte Hühner.«
    »Aus Angst?«
    »Nicht direkt, aber du weißt ja, alte Leute brechen sich leicht mal was, da muß man sich sehr in acht nehmen. Dieses Herumrudern und daß er nicht aufgepaßt hat, wo er hintrat, hat sie wohl ein bißchen nervös gemacht.«
    »Wie eine Vogelscheuche.«
    »Du, das gefällt mir.« Er strich Windmühle und schrieb Vogelscheuche darüber.
    »Welchen Eindruck hatte Markowitz von Gaynor?«
    »Schwer zu sagen … Er hat ständig versucht, dem Mann kostenlose Ratschläge aus der Nase zu ziehen.«
    »Gaynor ist Soziologe und kein Seelendoktor.«
    »Ja, aber er hat einen Artikel oder ein Buch oder so was über Senioren geschrieben, und Markowitz interessierte sich für das Thema. Damals stand er ja noch ganz am Anfang, seit dem zweiten Mord waren erst zehn Tage vergangen.«
    »Und was hat Gaynor ihm so alles erzählt?«
    »Hab ich nicht notiert. Irgendwie ging es um die Rolle der Alten in der Gesellschaft. Markowitz fand das unheimlich spannend. Ich nicht.«
    »Und was hat Coffey jetzt vor?«
    »Ich soll mich für ihn ein bißchen um die kleine Siddon kümmern.« Er zog eine Videokassette aus der Jackentasche. »Willst du dir das letzte Gespräch mal ansehen?«
    Sie schob die Kassette in den Recorder und stellte auf Play.
    Margot Siddon erschien auf dem Bildschirm, aber schon nach zehn Minuten schnitt Mallory ihr das Wort ab und gab Riker die Kassette zurück.
    »Ich hab sie im Park gesehen. Mehr als unsere Leute, die dort observieren, weiß ich auch nicht. Manchmal drückt sie sich um Henry Cathery herum, der sie meist ignoriert, er schließt ihr noch nicht mal das Parktor auf. Sein Schachbrett ist ihm offenbar wichtiger als eine Frau.«
     
    Mallory stand vor Martin Tellers Wohnung im vierten Stock und besah sich die Bücher und Zeitschriften, die neben einem Staubsauger, einem Kupferkessel und einem Ventilator vor der Tür gestapelt, aber nicht etwa für den Sperrmüll bestimmt waren. Charles hatte ihr erklärt, daß der Minimalkünstler hier alles auslagerte, was nicht reinweiß war.
    Sie sah kurz auf die gegenüberliegende Tür. Ihr war ausdrücklich verboten worden, Herbert zu terrorisieren. Rasselnd wurden in Martins Apartment vier Schlösser aufgesperrt, und fast bedauernd wandte sie den Blick von Apartment 4 B ab. Drei Schlösser waren ersichtlich neu, das vom Vermieter angebrachte war gut und gern zwanzig Jahre alt.
    Die Tür öffnete sich, und Martin bat sie mit einer kaum wahrnehmbaren Kopfbewegung herein. Sein Kopf war kahl, und auf etwas so Überflüssiges wie Augenbrauen konnte man als Minimalkünstler offenbar ebenfalls verzichten. Das weiße Hemd, das sich über der kugelsicheren Weste bauschte, die weiße Hose und die weißen Socken hoben sich kaum von den weißen Wänden ab. Im Wohnzimmer sah es aus wie nach einem Einbruch, bei dem die Räuber ganze Arbeit geleistet haben. Keine Gardinen, die Wände vollkommen kahl bis auf die kleine Sammlung briefmarkengroßer Kunstwerke, eins an jeder Wand, auf denen jeweils nur ein dünner Bleistiftstrich zu sehen war.
    Minimal Art war Mallory von allen Kunstrichtungen die liebste: übersichtlich, sauber, so gut wie unsichtbar. Keine knalligen Farben, keine profunden Probleme, nichts Gedankenschweres.
    Im türlosen Schrank hing nur das Notwendigste an Kleidung, alles war in Weiß gehalten und deshalb in dieser Umgebung kaum wahrnehmbar. Quadratische weiße Klötze dienten als Stühle und einer – weiß gedeckt und mit einem Ei darauf – als Frühstückstisch. Die Schlafzimmereinrichtung konnte sich Mallory danach mühelos zusammenreimen: wahrscheinlich eine schmale Matratze mit einem sorgfältig gefalteten weißen Bettuch darüber.
    Eine kugelsichere Weste war für diese Räume, für diesen Mann ein höchst problematisches Requisit.
    »Mich interessiert die Schrift an der Wand von Edith Candles Wohnung, Martin.«
    Er sah sie nicht an, sondern blickte in ihre Richtung wie ein Blinder, der nach der Stimme auszumachen versucht, wo sein Gesprächspartner steht, und blieb die Antwort schuldig. Mallory stellte sich direkt vor ihn und lächelte. Auf seiner Stirn sprang eine Sorgenfalte auf – für ihn ein Zeichen heftiger Gemütsbewegung. Möglicherweise schätzte er sie richtiger ein als die meisten

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