Ein Pakt mit dem Teufel: Roman (German Edition)
Kälteeinbruch herrühren mochte. Sein hageres Gesicht, das Kraft und zugleich Sensibilität verriet, war mit Bartstoppeln übersät und von tiefen Erschöpfungsfalten durchzogen. Seine Kleider waren zerlumpt. Um sich zu wärmen, trug er sie in mehreren Schichten übereinander. Statt einer Krawatte oder eines Halstuchs hatte er sich einen Wollschal umgebunden.
Doulting brauchte Hester nur kurz bei der Arbeit zuzusehen, um zu erkennen, dass sie eine erfahrene Kraft war und sich nicht durch die Armut der schmutzstarrenden Patienten stören ließ. Sie achtete nur auf die Schmerzen und die Gefahren des Blutverlusts, dann des Wundbrands, des Schocks und natürlich der Unterkühlung.
Sie behalfen sich mit Lumpen, Stofffetzen, aus denen sie Verbände improvisierten, Schienen, die sie aus allem bastelten, was einigermaßen fest war, und mit billigem Brandy, den sie den Patienten zur Schmerzbetäubung einflößten und auch zur Reinigung der Wunden auftrugen, bevor sie sie mit Nadeln und Fäden aus Catgut zunähten. Opium hatte er nur sehr wenig, und er benutzte es nur bei den schlimmsten Fällen.
Erst nach zwei Stunden fanden sie Zeit für ein Gespräch unter vier Augen. Dazu setzten sie sich in sein winziges Büro, das vollgestopft mit Büchern und Stößen von Papierbögen war, welche offenbar Notizen über Patienten enthielten. Hester kannte das aus eigener Erfahrung. Oft war man einfach zu müde oder zu sehr in Anspruch genommen, um sich all die Informationen zu merken, sodass man sie lieber kurz hinkritzelte. Auf einem kleinen Ofen in der Ecke stand ein Wasserkessel. Doulting bot Hester Tee an, den sie dankbar annahm.
»Danke für Ihre Hilfe.« Er lächelte und reichte ihr die dampfende Tasse.
Sie wehrte den Dank mit einer unscheinbaren Geste ab, die er vielleicht gar nicht bemerkte. Und weil sie mit einer langen Vorrede keine Zeit verschwenden wollte, fiel sie gleich mit der Tür ins Haus: »Ich versuche, Joel Lambourns Witwe vor dem Galgen zu retten. Wie ich das sehe, hat sie niemanden umgebracht, aber ich weiß nicht, wer der Mörder ist. Wenn ich ein Motiv erkennen könnte, wäre das vielleicht hilfreich.«
Doulting hatte sich auf einem Hocker niedergelassen. Als er zu Hester aufsah, sprachen aus seinen Augen Hoffnungslosigkeit und tiefe Betroffenheit. Er versuchte gar nicht erst, seine Gefühle in Worte zu fassen. »Das können Sie nicht«, sagte er nüchtern. »Sie führen einen Krieg, den niemand gewinnen wird. Erst haben wir die Chinesen ruiniert, jetzt stürzen wir uns selbst in den Ruin.« Er stieß ein leises, bitteres Lachen aus. »Ein Schlückchen Opium, um die Schreie des Babys zu ertragen, die Magenschmerzen zu lindern, ein bisschen Schlaf zu finden. Ein tiefer Schluck, um die quälenden Wundschmerzen des Soldaten, des Mannes mit dem zerquetschten Bein oder die Schmerzen des bösen Nierensteins zu betäuben.«
Sein Gesicht verzerrte sich jäh. »Ein Pfeifenkopf voll für den Mann, dessen Leben eine einzige graue Tretmühle ist und der viel lieber sterben würde, als die Flucht in Träume aufzugeben.« Seine Stimme sank zu einem Flüstern ab. »Und in ein paar Fällen eine Kanüle und den Inhalt einer dünnen Glasphiole in eine Vene, und für eine Weile – nur eine kurze Weile – verwandelt sich die Hölle in einen Himmel, bis man die nächste Dosis braucht.«
Er blinzelte. »In dem Blut und in den Profiten, die bei diesen Geschäften fließen, werden Sie ertrinken. Glauben Sie mir, ich weiß das. Ich habe mein Haus verloren, meine Praxis, die Frau, die ich heiraten wollte.«
Hester spürte die Angst auf sich zukriechen, als rückten die Schatten um sie herum immer näher, doch zugleich brandete auch Kraft in ihr hoch. Endlich war sie auf etwas sehr Reales gestoßen und nicht schon wieder auf eine Mauer aus Schweigen.
»Was hatte Joel Lambourn entdeckt, das zu verbergen einen Mord wert war?«, fragte sie.
»Das weiß ich nicht«, antwortete Doulting. »Das Einzige, was er mir verriet, war die Anzahl der Kinder, die eines unnötigen Todes starben, weil die Verpackungen nicht beschriftet waren. Ihre Mütter gaben ihnen gegen die Schmerzen beim Wachsen der ersten Zähne ein Kolikmittel, auf dem keine Angaben über die Höhe der Dosierung und die Häufigkeit der Einnahme standen. Die Zahl der Toten ist verheerend, und bei den Mitteln handelt es sich um Markenfabrikate, die wir alle kennen und für vertrauenswürdig halten.«
»Was noch?«, drängte Hester und nippte an ihrem Tee. Er war zu stark
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