Ein Pakt mit dem Teufel: Roman (German Edition)
Geländer. Und vielleicht war ihre Furcht gar nicht so unberechtigt. Ihr Gesicht sah aus, als flösse unter der alabasterfarbenen Haut kein Blut mehr.
Rathbone trat in die Mitte des Saales und blickte zu ihr auf. Wie lange würde er sie dort oben aussagen lassen müssen? Und bevor er Winfarthing aufrief, musste er unbedingt mit ihm sprechen. Ein Anwalt, der einen Zeugen verhörte, ohne zu wissen, was dieser sagen würde, war dumm. Bei allem Vertrauen in Hester brauchte er einfach ein wenig eigene Vorbereitung.
»Sie haben fünfzehn Jahre lang mit Joel Lambourn als dessen Ehefrau zusammengelebt?«, begann er mit gepresster Stimme.
»Ja.«
»Haben Sie ihn je geheiratet?«
»Nein.«
»Warum nicht?« Diese Frage klang brutal, doch er wollte bei den Geschworenen erst gar keine Zweifel daran aufkommen lassen, dass Dinah von Anfang an über Zenia Gadney im Bilde gewesen war.
»Weil er schon mit Zenia verheiratet war, als wir uns kennenlernten«, antwortete sie.
»Und er ließ sich nicht von ihr scheiden, um Sie heiraten zu können?« Rathbone versuchte, einen überraschten Ton in seine Stimme zu legen, ohne grausam zu wirken, doch das war unmöglich. Unwillkürlich zuckte er beim Klang seiner eigenen Worte zusammen.
»Ich habe ihn nie darum gebeten«, erklärte Dinah. »Ich wusste, dass Zenia einen schlimmen Unfall gehabt hatte und wegen der Schmerzen erst nach Alkohol und dann nach Opium süchtig geworden war. Vom Gin kam sie schließlich los, aber vom Rauschgift nie wirklich. Es gab eine Zeit, als nur ein einziger Umstand sie vor dem Selbstmord bewahrte, und an den klammerte sie sich damals mit aller Kraft: Das war die Tatsache, dass er sie nicht im Stich ließ. Ich selbst habe ihn geliebt und werde ihn immer lieben. Gerade deshalb hätte ich nie von ihm verlangt, dass er etwas tat, was er für grausam und ein Unrecht hielt. Ich hätte nicht gewollt, dass er sich selbst verleugnete.«
»Aber war es nicht ein Unrecht, dass er sein Leben mit Ihnen teilte?« Rathbone stellte diese Frage nur deshalb, weil er wusste, dass Coniston sie sonst nachholen würde.
»Er hat mich nie gebeten, mein Leben mit ihm zu teilen«, erwiderte Dinah. »Ich selbst habe mich dafür entschieden. Und, ja, die Gesellschaft wird wohl sagen, dass das unrecht war. Aber das kümmert mich nicht wirklich.«
»Recht und Unrecht kümmern Sie nicht? Oder liegt Ihnen nur nichts am Urteil der Gesellschaft?«
»Ich glaube, sie liegt mir durchaus am Herzen«, antwortete Dinah mit einem verzerrten Lächeln. »Die Gesellschaft, meine ich. Aber nicht so sehr, dass ich ihretwegen den einzigen Mann aufgebe, den ich je geliebt habe. Wir haben gegen den Anstand verstoßen, oder hätten das getan, wenn man darüber Bescheid gewusst hätte. Aber wir haben niemandem geschadet. Vielleicht hätten sich auch die Leute nicht allzu sehr daran gestört. Tausende haben schließlich eine Mätresse oder einen Liebhaber. Tausende mehr besuchen Straßenmädchen. Solange das im Privaten geschieht, hat doch niemand allzu viel daran auszusetzen.«
Was sie sagte, war vollkommen zutreffend, doch Rathbone wünschte sich, sie wäre nicht ganz so freimütig gewesen. Andererseits hätte dann womöglich Coniston diesen Punkt aufgegriffen und für sich genutzt.
Wie auch immer, Rathbone musste hartnäckig weiterfragen, notfalls den ganzen Vormittag lang. Irgendetwas zu reden war immer noch besser als Stille, die Pendock sofort veranlassen würde, die Entscheidung den Geschworenen anheimzustellen. Hatte Hester Winfarthing zum Kommen überreden können? Was würde er machen, wenn der Mann die Aussage verweigerte?
»Waren Sie glücklich?«, fragte er Dinah.
Coniston erhob sich. »Mylord, wieder einmal versucht mein gelehrter Freund, die Zeit des Gerichts zu vergeuden. Wenn es hilft, die Prozedur zu beschleunigen, setze ich gerne als gegeben voraus, dass die Angeklagte und Dr. Lambourn zusammen das ideale Leben führten und bis zu seinen letzten Tagen so glücklich waren, wie Mann und Frau es miteinander nur sein können. Es besteht keinerlei Notwendigkeit, zu diesem Zweck eine ganze Prozession von Zeugen aufmarschieren zu lassen.«
»Ich hatte diesbezüglich keinerlei Absichten, Mylord!«, rief Rathbone empört.
»Dann kommen Sie endlich zu dem Argument, das Sie anbringen wollen, Sir Oliver«, erwiderte Pendock ungeduldig.
Nur mit Mühe wahrte Rathbone die Selbstbeherrschung. Er durfte sich nicht durch Zorn oder Stolz aus dem Konzept bringen lassen. »Sehr wohl, Mylord.« Er
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