Ein Pirat zum Verlieben
merkte Tess seinem Gesichtsausdruck an. Im Geist ging sie durch, was sie alles festgestellt hatte. Keine modernen Einrichtungen, nichts. Und die Art, wie dumm er sich stellte, wenn sie etwas erwähnte, das auch nur entfernt mit Technik zu tun hatte. Seine leicht geschraubte Redeweise und förmlichen Manieren, seine Kleidung, diese Kajüte, zum Teufel, das ganze Schiff!
»Was glauben Sie, in welchem Jahr wir leben, Captain Blackwell?«
Seine Miene verdüsterte sich wegen der eigenartigen Frage und ihrer überlegenen Miene, als spreche sie nachsichtig mit einem Kind, von dem sie wusste, dass es die richtige Antwort nicht geben konnte.
»Ich glaube gar nichts, Mistress Renfrew!«, fuhr er sie scharf an. »Ich weiß, dass heute der dreiundzwanzigste Juni im Jahr des Herrn siebzehnhundertneunundachtzig ist.«
Tess wäre am liebsten in Tränen ausgebrochen.
Ein Exzentriker! So musste es sein. Er war reich und gelangweilt, und das hier war sein »Fantasy Island«, wo er auf einem Kriegsschiff aus dem achtzehnten Jahrhundert Pirat spielte. Und er war voll drauf, keine Frage. Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen. Oh, warum musste er ein Spinner sein?
»Und dürfte ich Ihnen dieselbe Frage stellen?« Ihr Kopf fuhr hoch. »Was glauben Sie, welches Datum wir heute haben?«
Sie ließ die Hände sinken und seufzte. »Was den Tag angeht, bin ich mir nicht sicher, aber wir haben Juni« – sie machte eine Pause und behielt ihn scharf im Auge – »neunzehnhundert neunundachtzig.«
Seine Augen funkelten, und seine Lippen wurden schmal. »Zumindest im Monat sind wir uns einig«, sagte er und ging zu der Sitzgruppe.
Tess sank mutlos auf den Berg Kissen zurück und verfolgte mit den Augen jede seiner Bewegungen, als er einen Schlüssel aus seiner Tasche zog und den Kabinettschrank aufsperrte. Er nahm eine schöne Kristallkaraffe heraus und schenkte sich ein Glas ein.
»Möchten Sie vielleicht einen Schluck Brandy?«
Tess gähnte und schüttelte den Kopf. »Das Zeug ist Gift für Ihre Leber.«
Er gönnte ihr einen kurzen Blick. »Da meine Leber in Ihren Augen, Mistress Renfrew, bereits zweihundert Jahre alt ist, sehe ich nicht, wo der Schaden liegen soll.«
Tess lächelte schläfrig. »Touché, Captain Blackwell«, murmelte sie mit einem weiteren Gähnen. Ich lasse ihm das Vergnügen, entschied sie. Warum nicht? Es könnte Spaß machen. Auf jeden Fall unterschied er sich von jedem anderen Mann, den sie kannte.
Als Dane zum Bett zurückging, fand er sie schlafend vor, auf die Seite gerollt, die Hände brav unter ihrer Wange verschränkt. Er blieb einen Moment stehen, um sich an ihrer stillen Schönheit zu erfreuen, bevor er sich in den weichen Ledersessel hinter seinen Schreibtisch setzte und seine Füße auf die voll geräumte Oberfläche legte.
Neunzehnhundertund … – er wollte nicht darüber nachdenken, was sie gesagt hatte. Es bestätigte nur seinen Verdacht. Er wollte nur daran denken, wie köstlich sich ihr geschmeidiger Körper angefühlt hatte, als sie beinahe in Ohnmacht gefallen wäre, an ihre langen, schlanken Beine, die über seinem Arm lagen. Und daran, wie berauschend ihr Kuss geschmeckt hatte. Wie eine süße Quelle der Kraft. Sie war unerfahren, vermutete er, vielleicht sogar noch Jungfrau. Tess Renfrew war freimütig und stark und – ja, begehrenswert, und er gab zu, dass er es genoss, in ihrer Nähe zu sein. Sie war anders als jede andere Frau, die er in seinen dreiunddreißig Lebensjahren kennen gelernt hatte. Dane stürzte den Brandy hinunter. Er wollte sie, aber er wusste, dass sie nicht bei Verstand war.
6
Dane stieß einen Fluch aus und fuhr sich mit den Fingern durch sein tiefschwarzes Haar. »Sie müssen sich irren, Duncan.«
»Nein, Sir.«
»Wie ist so etwas möglich?«, fuhr er mit gesenkter Stimme fort. »Eine solche Grausamkeit an einem so lebendigen und schönen Wesen zu begehen!« Dane wandte sich abrupt ab und starrte auf den im Mondlicht glitzernden Ozean.
»Tut mir Leid, Sir, aber es muss der Grund sein.« Duncan war selbst in Rage über dieses Unrecht. »Renfrew, das ist ein nobler Name. Es gibt sogar eine Grafschaft mit demselben Namen.«
Dane stieß einen tiefen Seufzer aus und sah zu den Sternen. »Aber sie bei einem Sturm auszusetzen?«
»Die Noblen und Reichen tun so was.« Er scharrte mit einem nackten Fuß über die glatten Planken und warf einen verstohlenen Blick auf die Männer, die auf dem Deck lagen. »Wissen Sie, Sir, manchmal, wenn ein Angehöriger nicht ganz
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