Ein plötzlicher Todesfall
schleuderte. Sie wünschte, ihre Mutter wäre nicht ausgerechnet an diesem Abend mit der Farm behelligt worden, denn das schlug ihr immer auf die Laune. Als Parminder dann die Küchentür aufdrückte, das Handy ans Ohr geklemmt, und Sukhvinder das angespannte, maskenhafte Gesicht ihrer Mutter erblickte, verlieà sie endgültig der Mut.
Parminder nahm Jaswant und Rajpal mit kurzem Winken zur Kenntnis, zeigte aber auf Sukhvinder und dann auf einen Küchenstuhl, um ihr anzudeuten, dass sie sich setzen und warten solle, bis der Anruf beendet war.
Jaswant und Rajpal zogen sich nach oben zurück. Sukhvinder wartete vor der Wand mit den Fotos, auf denen ihre Unzulänglichkeit im Vergleich zu ihren Geschwistern für alle Welt sichtbar ausgestellt war. Sie war durch den stillen Befehl ihrer Mutter an den Stuhl gefesselt. Das Telefonat wollte und wollte nicht enden, bis Parminder sich zu guter Letzt verabschiedete und die Verbindung trennte.
Als sie sich umdrehte und ihre Tochter ansah, wusste Sukhvinder sogleich, noch ehe ein Wort gefallen war, dass sie sich falsche Hoffnungen gemacht hatte.
»Also«, sagte Parminder. »Tessa hat mich in der Praxis angerufen. Ich gehe davon aus, dass du weiÃt, worum es ging.«
Sukhvinder nickte. Ihr war, als hätte sie den Mund voll Watte.
Parminders Zorn brach über sie herein wie eine Flutwelle und riss Sukhvinder derart mit, dass sie nicht mehr wusste, wo oben und unten war.
»Warum? Warum? Ahmst du damit wieder dieses Mädchen aus London nach? Versuchst du ihr zu imponieren? Jaz und Raj haben sich nie so benommen, nie! Warum machst du das? Was stimmt nicht mit dir? Bildest du dir etwas darauf ein, faul und schludrig zu sein? Hältst du es für cool, dich wie eine Kriminelle zu verhalten? Was glaubst du eigentlich, wie es mir dabei ging, als Tessa es mir gesagt hat? Mich in der Praxis anrief. So habe ich mich noch nie geschämt. Du widerst mich an, hörst du? Geben wir dir denn nicht genug? Helfen wir dir nicht genug? Was stimmt nicht mit dir, Sukhvinder ?«
Verzweifelt versuchte Sukhvinder, die Schimpftirade ihrer Mutter zu unterbrechen, und erwähnte den Namen Krystal Weedon.
»Krystal Weedon!«, schrie Parminder. »Das dumme Ding! Warum hörst du auf das, was sie sagt? Hast du ihr gesagt, dass ich versucht habe, ihre verdammte GroÃmutter am Leben zu erhalten? Hast du es ihr gesagt?«
»Ich, nein.«
»Wenn du das wichtig nimmst, was Krystal Weedon und ihresgleichen sagen, dann bist du ein hoffnungsloser Fall! Vielleicht ist das dein angeborenes Niveau, ja, Sukhvinder? Du willst Schulschwänzerin spielen und in einem Café arbeiten und all deine Bildungschancen vergeuden, weil das einfacher ist? Hast du das gelernt, als du mit Krystal Weedon in einer Mannschaft warst? Auf ihr Niveau herabzusinken?«
Sukhvinder dachte an Krystal und ihre Clique, wild entschlossen, die StraÃe zu überqueren, auf eine Lücke zwischen den Autos wartend. Was müsste sie tun, damit ihre Mutter sie verstand? Vor einer Stunde noch hatte sie die vage Hoffnung gehegt, ihrer Mutter vielleicht endlich das mit Fats Wall anvertrauen zu können.
»Geh mir aus den Augen! Geh! Ich werde mit deinem Vater sprechen, wenn er nach Hause kommt. Verschwinde!«
Sukhvinder lief nach oben. Jaswant rief aus ihrem Zimmer: »Was war das für ein Geschrei?«
Sukhvinder antwortete nicht. Sie ging in ihr Zimmer, schloss die Tür und setzte sich auf den Bettrand.
Was stimmt nicht mit dir, Sukhvinder?
Du widerst mich an.
Bildest du dir etwas darauf ein, faul und schludrig zu sein?
Was hatte sie erwartet? Eine verständnisvolle Umarmung und Trost? Wann hatte Parminder sie je fest an sich gedrückt? Die Rasierklinge, die in ihrem Plüschhasen steckte, versprach Trost. Aber der Wunsch, der sich zum Verlangen steigerte, sich zu ritzen, bis sie blutete, konnte nicht bei Tageslicht befriedigt werden, solange die Familie wach und ihr Vater auf dem Weg nach Hause war.
Der dunkle See aus Verzweiflung und Schmerz, der Sukhvinder innerlich ausfüllte und nach Erlösung verlangte, stand in Flammen, als wäre er die ganze Zeit schon aus Benzin gewesen.
Soll sie doch sehen, wie es sich anfühlt .
Sie stand auf, durchquerte mit ein paar Schritten ihr Zimmer, lieà sich auf den Stuhl am Schreibtisch fallen und hämmerte auf die Tastatur ihres Computers ein.
Sukhvinder war ebenso interessiert gewesen wie Andrew
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