Ein plötzlicher Todesfall
in den Vorhängen drang, fühlte sich an wie ein Laserstrahl. Sie zuckte im bangen Halbschlaf, ihr Mund war trocken, ihre seltsamen Träume waren schuldbeladen.
In der Küche saà Miles, aufrecht und allein, vor einer unberührten Tasse Tee. Immer wieder hatte er vor Augen, wie seine betrunkene Frau einen sechzehnjährigen Schüler küsste und umarmte.
Drei Häuser weiter lag Fats Wall rauchend in seinem Zimmer, noch immer in den Sachen, die er auf Howard Mollisons Geburtstagsfeier getragen hatte. Er hatte die ganze Nacht wachbleiben wollen und hatte es geschafft. Sein Mund war ein wenig taub und pelzig nach all den Zigaretten, die er geraucht hatte, doch seine Müdigkeit hatte genau die entgegengesetzte Wirkung von der, die er sich erhofft hatte. Er konnte nicht sehr klar denken, und sein Elend und sein Unbehagen waren intensiv wie eh und je.
Colin Wall wachte schweiÃgebadet aus einem weiteren Alptraum auf, wie sie ihn seit Jahren quälten. In den Träumen hatte er immer Schreckliches angestellt, das, wovor er sich in seinem wachen Leben fürchtete, und diesmal hatte er Barry Fairbrother umgebracht, und die Behörden hatten es gerade herausgefunden und waren zu ihm gekommen, um ihm zu sagen, dass sie es wussten, dass sie Barry exhumiert und das Gift gefunden hatten, das Colin ihm verabreicht hatte.
Colin starrte auf die vertraute Lampe an der Decke und fragte sich, warum er nie auf die Idee gekommen war, dass er Barry umgebracht haben könnte, und sofort stellte sich ihm die Frage: Woher willst du wissen, dass du es nicht warst?
Unten spritzte sich Tessa Insulin in den Bauch. Sie wusste, dass Fats am Abend zuvor nach Hause gekommen war, weil sie den Zigarettenrauch auf der Treppe zu seinem Dachzimmer riechen konnte. Wo er gewesen war und wann er nach Hause gekommen war, wusste sie nicht, und das flöÃte ihr Angst ein. Wie hatte es so weit kommen können?
Howard Mollison schlief fest und glücklich in seinem Doppelbett. Die mit rosa Blütenblättern gemusterten Vorhänge beschützten ihn vor einem grausamen Erwachen, doch sein rasselndes, keuchendes Schnarchen hatte seine Frau geweckt. Shirley saà in ihrem Chenille-Morgenmantel in der Küche, hatte die Brille aufgesetzt, aà Toast und trank Kaffee. Sie sah Maureen vor sich, wie sie sich Arm in Arm mit Howard zu den Klängen der Musik im Gemeindesaal wiegte, und Ekel stieg in ihr auf, der jedem Bissen den Geschmack nahm.
In seinem Cottage ein paar Meilen auÃerhalb von Pagford seifte Gavin sich unter der heiÃen Dusche ein und fragte sich, warum er nie den Mut anderer Männer hatte, wie es ihnen nur gelang, die richtige Wahl unter schier endlosen Alternativen zu treffen. Innerlich sehnte er sich nach dem Leben, auf das er einen flüchtigen Blick hatte werfen können. Trotzdem hatte er Angst. Eine Entscheidung war gefährlich: Man musste auf alle anderen Möglichkeiten verzichten, wenn man eine Wahl traf.
Kay Bawden lag wach und müde im Bett in der Hope Street, lauschte der Morgenstille von Pagford und beobachtete Gaia, die neben ihr im Doppelbett schlief, bleich und erschöpft. Neben Gaia auf dem Boden stand ein Eimer, den Kay dort hingestellt hatte, nachdem sie ihrer Tochter eine Stunde lang die Haare aus dem Gesicht gehalten hatte, um sie dann in den frühen Morgenstunden aus dem Bad ins Schlafzimmer zu tragen.
»Warum hast du uns hierhergebracht?«, hatte Gaia würgend und spuckend über der Schüssel gejammert. »Bring mich weg. Bring mich weg. Ich hasse dich.«
Kay betrachtete das schlafende Gesicht und rief sich das wunderschöne Baby in Erinnerung, das vor sechzehn Jahren neben ihr gelegen hatte. Sie erinnerte sich an die Tränen, die Gaia vergossen hatte, als Kay sich von Steve getrennt hatte, der acht Jahre lang ihr Lebenspartner gewesen war. Steve hatte an Gaias Elternabenden teilgenommen und ihr das Radfahren beigebracht. Kay fiel das Hirngespinst ein, das sie gehegt hatte (rückblickend so albern wie der Wunsch der vierjährigen Gaia, ein Einhorn haben zu wollen), sich mit Gavin niederzulassen und Gaia endlich einen dauerhaften Stiefvater zu geben sowie ein hübsches Haus auf dem Land. Wie sehr hatte sie sich nach einem märchenhaften Ende gesehnt, einem Leben, in das Gaia immer wieder würde zurückkehren wollen, denn der Auszug ihrer Tochter raste wie ein Meteorit auf Kay zu, und sie sah den Verlust Gaias als eine Katastrophe voraus,
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