Ein plötzlicher Todesfall
versuchte sich vorzustellen, was ihre Schwiegermutter sagen würde, wenn Samantha mit einem neuen, glatten Gesicht auftauchte. Shirley und Howard beteiligten sich, wie Shirley sie beide regelmäÃig erinnerte, an den Kosten der Ausbildung ihrer Enkeltöchter.
Miles kam ins Schlafzimmer, Samantha nahm die Hände herunter, griff nach der Abdeckcreme und lehnte den Kopf zurück, wie sie es immer tat, wenn sie Make-up auftrug: Das zog die allmählich schlaffer werdende Haut an ihrem Kinn straff. Am Rande ihrer Lippen waren nadelfeine Fältchen. Die lieÃen sich auffüllen, hatte sie gelesen, mit einer synthetischen, einspritzbaren Mischung. Sie fragte sich, wie viel das ausmachen würde. Bestimmt wäre es billiger als ein komplettes Facelifting, und vielleicht würde Shirley es nicht bemerken. Im Spiegel sah sie, wie Miles hinter ihr Krawatte und Hemd ablegte und sein groÃer Bauch über seine Anzughose quoll.
»Hattest du heute nicht jemanden da? Irgendeinen Vertreter?«, fragte er. Träge kratzte er sich an seinem haarigen Nabel und schaute in den Kleiderschrank.
»Ja, aber das war nichts«, erwiderte Samantha. »Mieses Zeug.«
Miles gefiel, was sie tat. Aufgewachsen in einem Haus, in dem Einzelhandel die einzige Geschäftsform war, die zählte, hatte er nie den Respekt vor dem Kaufmannsgeist verloren, den Howard ihm eingeflöÃt hatte. AuÃerdem schien Miles es nicht müde zu werden, dieselben alten Witzchen oder dieselben versteckten Anspielungen zu machen, die Samanthas Geschäft bot.
»Schlechte Passformen?«, fragte er sachkundig.
»Schlechtes Design. Entsetzliche Farben.«
Samantha bürstete ihr dickes braunes Haar, band es zurück und beobachtete im Spiegel, wie Miles sich Chinos und ein Polohemd anzog. Sie war genervt, hatte das Gefühl, gleich auszurasten oder beim kleinsten Anlass in Tränen auszubrechen.
Evertree Crescent lag nur fünf Minuten entfernt, aber die Church Row war steil, deshalb nahmen sie das Auto. Oben an der StraÃe fuhren sie an einem Mann vorbei, der Barry Fairbrothers Körperform und Gang hatte. Samantha schrak zusammen, sah noch einmal hin und fragte sich, wer das sein könnte. Miles bog nach links und dann, kaum eine Minute später, in die halbmondförmige Bungalowanlage.
Das Haus von Howard und Shirley, ein niedriges Gebäude aus rotem Backstein mit breiten Fenstern, hatte vorn und hinten groÃzügige Rasenflächen, die von Miles im Sommer gemäht wurden. In den langen Jahren, seit sie hier wohnten, hatten Howard und Shirley das Haus mit Kutscherlampen und einem weiÃen schmiedeeisernen Tor verschönert, und neben der Haustür standen mit Geranien bepflanzte Terrakottatöpfe. Sie hatten auch ein Schild neben der Klingel angebracht, rund und aus lackiertem Holz, auf dem in schwarzer altmodischer Schrift »Ambleside« stand, einschlieÃlich der Anführungszeichen.
Manchmal machte sich Samantha auf grausame Weise lustig über das Haus ihrer Schwiegereltern. Miles nahm diese Sticheleien hin, als stillschweigende Andeutung, dass Samantha und er mit ihren abgeschliffenen Dielen und Türen, den gerahmten Drucken und ihrem modischen unbequemen Sofa den besseren Geschmack hatten, doch insgeheim zog er den Bungalow vor, in dem er aufgewachsen war. Fast jede Oberfläche war mit etwas Plüschigem und Weichem bedeckt, nirgends zog es, und die Sessel mit ausziehbarer FuÃstütze waren äuÃerst bequem. Wenn er im Sommer den Rasen gemäht hatte, brachte ihm Shirley immer ein kühles Bier, während er auf einem dieser Sessel lag und sich ein Cricketmatch im Flachbildfernseher anschaute. Manchmal kam eine seiner Töchter mit, saà dann neben ihm und aà Eiscreme mit SchokoladensoÃe, die Shirley extra für ihre Enkeltöchter zubereitete.
»Hallo, Liebling«, sagte Shirley, als sie die Tür öffnete. Ihre kompakte Gestalt erinnerte an einen kleinen Pfefferstreuer mit umgebundener Schürze. Sie stellte sich auf Zehenspitzen, um ihren hochgewachsenen Sohn zu küssen, brachte ein »Hallo, Sam« hervor und wandte sich sofort ab. »Das Essen ist fast fertig. Howard! Miles und Sam sind da!«
Das Haus roch nach Möbelpolitur und gutem Essen. Howard kam aus der Küche, eine Flasche Wein in der einen Hand, einen Korkenzieher in der anderen. Mit erprobter Geschmeidigkeit wich Shirley ins Esszimmer aus, um Howard, der fast die ganze
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