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Ein plötzlicher Todesfall

Ein plötzlicher Todesfall

Titel: Ein plötzlicher Todesfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne K. Rowling
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Augen und massierte ihren Nasenrücken und die Augenlider mit Daumen und Zeigefinger.
    Â»Mir kam er immer etwas unzuverlässig vor«, bemerkte Colin.
    Â»Ehrlich?«, erwiderte Tessa aus der Tiefe ihrer freiwilligen Dunkelheit.
    Â»Ja. Erinnerst du dich, als er angeboten hat, beim Spiel gegen die Paxton High als Schiedsrichter mitzumachen? Und dann eine halbe Stunde vorher absagte und Bateman für ihn einspringen musste?«
    Tessa unterdrückte den Impuls, ihn anzublaffen. Colin hatte die Angewohnheit, aufgrund erster Eindrücke und einzelner Handlungen Pauschalurteile zu fällen. Er schien die ungeheure Wandlungsfähigkeit der menschlichen Natur nicht zu begreifen, nicht zu erkennen, dass hinter jedem unscheinbaren Gesicht ein wildes, einzigartiges Zwischenreich lag wie sein eigenes.
    Â»Auf jeden Fall geht er sehr liebevoll mit den Kindern um«, sagte Tessa vorsichtig. »Ich muss ins Bett.«
    Sie machte keine Anstalten aufzustehen, sondern konzentrierte sich auf die verschiedenen Schmerzen in ihrem Körper: in ihren Füßen, ihrem Kreuz, ihren Schultern.
    Â»Ich habe nachgedacht, Tess.«
    Â»Hm?«
    Die Brillengläser ließen Colins Augen zu Stecknadelköpfen schrumpfen, so dass die hohe, verformte Stirn noch deutlicher hervortrat.
    Â»Alles, was Barry im Gemeinderat zu erreichen versuchte. Alles, wofür er kämpfte. Fields. Die Drogenklinik. Ich habe den ganzen Tag darüber nachgedacht.« Er atmete tief durch. »Ich bin beinahe entschlossen, an seine Stelle zu treten.«
    Böse Vorahnungen brachen über Tessa herein, machten sie für einen Augenblick sprachlos. Sie versuchte, sich möglichst nichts davon anmerken zu lassen.
    Â»Ich bin überzeugt, dass Barry das gewollt hätte«, sagte Colin. In seiner seltsamen Erregung schwang ein Hauch von Abwehr mit.
    Niemals , sagte Tessas ehrlichstes Selbst, keine Sekunde lang hätte Barry das gewollt. Er hätte gewusst, dass du der Allerletzte bist, der sich dafür eignet.
    Â»Meine Güte«, sagte sie. »Na ja. Ich weiß, Barry war sehr … Aber das wäre eine gewaltige Verpflichtung, Colin. Und was ist mit Parminder? Sie ist ja noch da und wird bestimmt weiterhin versuchen, alles durchzusetzen, was Barry wollte.«
    Ich hätte Parminder anrufen sollen , dachte Tessa mit schlechtem Gewissen, als sie deren Namen aussprach. O Gott, warum habe ich nicht daran gedacht, Parminder anzurufen?
    Â»Aber sie braucht Unterstützung. Sie wird sich nie allein gegen die anderen durchsetzen«, sagte Colin. »Und ich garantiere dir, dass Howard Mollison irgendeine Marionette aufstellen wird, um Barry zu ersetzen. Vermutlich hat er bereits –«
    Â»Colin …«
    Â»Ich wette darauf! Du weißt doch, wie er ist!«
    Die Papiere auf Colins Schoß fielen unbeachtet wie ein Wasserfall zu Boden.
    Â»Ich will das für Barry tun. Ich werde da weitermachen, wo er aufgehört hat. Ich werde dafür sorgen, dass nichts von dem, wofür er gearbeitet hat, in Rauch aufgeht. Ich kenne die Argumente. Er sagte immer, er hätte Chancen bekommen, die sich ihm sonst nie geboten hätten, und sieh dir an, wie viel er der Gemeinde zurückgegeben hat. Ich werde mich auf jeden Fall bewerben. Morgen werde ich mich erkundigen, was ich dafür tun muss.«
    Â»In Ordnung«, sagte Tessa. Jahre der Erfahrung hatten sie gelehrt, Colin in seinen ersten Begeisterungsausbrüchen nicht zu widersprechen, da ihn das nur dazu bringen würde, noch stärker an seinem Entschluss festzuhalten. Dieselben Jahre hatten Colin gelehrt, dass Tessa oft zustimmte, bevor sie Widerspruch erhob. Diesem Wortwechsel lag stets das gemeinsame Wissen um ihr gut gehütetes Geheimnis zugrunde. Tessa hatte das Gefühl, ihm etwas schuldig zu sein. Er hatte das Gefühl, dass sie ihm etwas schuldete.
    Â»Ich möchte das wirklich, Tessa.«
    Â»Das kann ich verstehen, Colin.«
    Sie schob sich vom Sessel hoch, unsicher, ob sie die Kraft haben würde hinaufzugehen.
    Â»Kommst du mit ins Bett?«
    Â»Gleich. Ich will das hier nur noch fertig machen.«
    Er hob die Kopien auf, die er hatte fallen lassen. Seine unbesonnene Entscheidung hatte ihm allem Anschein nach eine fiebrige Energie verliehen.
    Im Schlafzimmer zog Tessa sich langsam aus. Die Schwerkraft hatte offenbar zugenommen, denn es kostete so viel Mühe, ihre Glieder zu heben, den widerspenstigen Reißverschluss zu zwingen,

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