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Ein plötzlicher Todesfall

Ein plötzlicher Todesfall

Titel: Ein plötzlicher Todesfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne K. Rowling
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bekamen. Am liebsten ging Shirley von Bett zu Bett und nahm die Bestellungen für die Mahlzeiten auf. Einmal war sie mit ihrem Klemmbrett und dem eingeschweißten Ausweis von einem vorbeigehenden Arzt für jemanden von der Krankenhausverwaltung gehalten worden.
    Auf die ehrenamtliche Tätigkeit war Shirley während ihres längsten Gesprächs mit Julia Fawley gekommen, bei einer der wundervollen Weihnachtsfeiern in Sweetlove House. Dabei hatte sie erfahren, dass Julia mit der Spendensammlung für die Kinderabteilung des örtlichen Krankenhauses zu tun hatte.
    Â»Was wir wirklich brauchen, ist ein Besuch der Königin«, hatte Julia gesagt und gleichzeitig über Shirleys Schulter geschaut. »Ich werde Aubrey bitten, mal mit Norman Bailey zu sprechen. Entschuldigen Sie mich, ich muss Lawrence begrüßen …«
    Shirley wurde neben dem Flügel stehen gelassen und murmelte: »Oh, selbstverständlich, selbstverständlich«, was jedoch niemand mehr hörte. Sie hatte keine Ahnung, wer Norman Bailey war, schwebte aber wie auf Wolken. Gleich am nächsten Tag, ohne Howard zu erzählen, was sie plante, hatte sie im Kreiskrankenhaus angerufen und sich nach ehrenamtlicher Tätigkeit erkundigt. Nachdem man ihr versichert hatte, dazu seien nichts weiter als ein untadeliger Charakter, ein klarer Verstand und kräftige Beine nötig, hatte sie sich die Aufnahmeformulare schicken lassen.
    Die ehrenamtliche Tätigkeit hatte Shirley eine ganz neue, ruhmreiche Welt eröffnet. Das war der Traum, den Julia Fawley ihr unabsichtlich neben dem Flügel eingegeben hatte. Sie sah sich selbst, wie sie mit sittsam gefalteten Händen dastand, den eingeschweißten Ausweis um den Hals, während die Königin langsam an einer Reihe strahlender Hilfskräfte vorbeischritt. Sie sah sich in einem perfekten Hofknicks niedersinken, die Aufmerksamkeit der Königin erregen, die stehen blieb, um mit Shirley zu plaudern und ihr dafür zu danken, dass sie so großzügig ihre Freizeit opferte … Ein Blitzlicht und ein Fotograf, die Zeitung am nächsten Tag … Die Königin im Gespräch mit der ehrenamtlichen Krankenhaushelferin Mrs Shirley Mollison … Manchmal, wenn Shirley ganz in dieser imaginären Szene aufging, überkam sie ein fast heiliges Gefühl.
    Die ehrenamtliche Arbeit im Krankenhaus hatte Shirley eine glänzende neue Waffe gegen Maureens ständige Prahlereien an die Hand gegeben. Als sich Kens Witwe aschenputtelmäßig von einer Verkäuferin in eine Geschäftspartnerin verwandelt hatte, entwickelte sie Allüren, die Shirley (obwohl sie alles mit einem Miezekatzenlächeln ertrug) ärgerlich fand. Aber Shirley hatte sich die moralische Überlegenheit zurückerobert. Sie arbeitete, nicht um Profit zu machen, sondern aus Herzensgüte. Es war nobel, einer ehrenamtlichen Tätigkeit nachzugehen, das taten Frauen, die kein zusätzliches Geld brauchten, Frauen wie sie und Julia Fawley. Darüber hinaus verschaffte das Krankenhaus Shirley Zugang zu jeder Menge Klatsch, mit dem sich Maureens langweiliges Geschwafel von ihrem neuen Café übertönen ließ.
    An diesem Morgen machte Shirley der Einsatzleiterin für die Ehrenamtlichen mit fester Stimme klar, dass sie gern auf Station achtundzwanzig eingesetzt werden wolle, und wurde prompt auf die Onkologie geschickt. Auf Station achtundzwanzig hatte sie ihre einzige Freundin in der Schwesternschaft gefunden. Einige der jüngeren Schwestern konnten sehr kurz angebunden und herablassend zu den Ehrenamtlichen sein, aber Ruth Price, die nach einer Unterbrechung von sechzehn Jahren vor kurzem in die Pflege zurückgekehrt war, hatte sie von Anfang an freundlich behandelt. Sie waren beide, wie Shirley es ausdrückte, echte Pagford-Frauen, was ein Band zwischen ihnen schuf.
    (Dabei war Shirley gar nicht in Pagford geboren. Sie und ihre jüngere Schwester waren bei ihrer Mutter in einer engen, unordentlichen Wohnung in Yarvil groß geworden. Shirleys Mutter hatte viel getrunken und sich nie von dem Vater der Mädchen scheiden lassen, der irgendwann verschwunden war. Die Männer aus der Stadt hatten den Namen von Shirleys Mutter alle gekannt und anzüglich gegrinst, wenn sie ihn aussprachen … Aber das war lange her, und Shirley war der Ansicht, dass die Vergangenheit ausgelöscht wurde, wenn man sie nie erwähnte. Sie weigerte sich, an all das zu

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