Ein Regenschirm furr diesen Tag
heute belustigt mich auch das Nichtverstehen; jedenfalls dann, wenn es sich an einem so nebensächlichen und fast selbst lächerlichen Ort wie einem Friseursalon festmacht. Margots Salon ist vermutlich in den sechziger Jahren eingerichtet und seither nicht erneuert worden. In der Herrenabteilung gibt es drei klobige, schwulstig geformte Porzellanbecken, die viel zu mächtig in den kleinen Raum hineinragen. Außer Margot gibt es keine weiteren Friseusen oder Friseure. Vermutlich hat Margot nur noch wenige Kunden. Ein paar ältere Frauen und Leute wie ich, die wenig zahlen wollen. Als ich den Salon zum ersten Mal betrat, saß Margot vornübergebeugt vor dem leeren mittleren Waschbecken. Erst beim Näherkommen sah ich, daß Margot einen Teller Suppe aß, der in der Tiefe des Waschbeckens stand. Margot war ein wenig erschrocken und verlegen. Offenbar hatte sie nicht mehr mit einem Kunden gerechnet und vergessen, die Ladentür abzuschließen. Ich erbot mich damals, das Geschäft wieder zu verlassen. Aber Margot bat mich zu bleiben und trug den halb leer gegessenen Teller weg. Heute ißt sie keine Suppe. Statt dessen liegt im gleichen mittleren Waschbecken eine Katze und schläft.
Sie haben Glück, sagt Margot, Sie kommen gleich dran. Die Katze läßt sich von den plötzlichen Bewegungen um sie herum nicht stören. Margot dreht die Sitzfläche des ganz links gelegenen Friseurstuhls um, ich nehme Platz. Zwischen den Spiegeln hängen Zeichnungen, die offenbar von Margot selbst stammen. Sie zeigen immer wieder dasselbe Frauenprofil, eine Art Bubikopf. Die Zeichnungen erinnern mich momentweise an meine Mutter, die in ihren letzten Lebensjahren gern einen ähnlichen Bubikopf malte. Margot bedeckt meine Vorderseite mit einem frischen Umhang. Ich bin der einzige Kunde. Margot sagt: Ich kann Sie jetzt schon an Ihrem Hinterkopf wiedererkennen. Wir lachen kurz, dann reicht mir Margot eine Zeitschrift mit dem Titel GLÜCKSREVUE. Die Trennwand zwischen der Herren- und der Damenabteilung ist vermutlich noch älter als die übrige Einrichtung. Es ist ein kreuzweise übereinandergelegtes Bambusgestänge, wie es in den sechziger Jahren in vielen Wohnzimmern zu sehen war. Drei Blumentöpfe in tonbraunen Schalen hängen in dem Gestänge und sind mit Bastschleifen an diesem befestigt. Margot schaltet das Kofferradio ein. Es ertönt Schlagermusik, die Katze schaut auf. In der GLÜCKSREVUE lese ich den Anfang eines Artikels über den Nachwuchs des schwedischen Königshauses. Die Überschrift lautet: Der erste Enkel ist da. Aus Versehen lese ich: Der erste Ekel ist da. Dabei ekele ich mich nicht, im Gegenteil, der sonderbar zusammengerumpelte Charakter der Räume fesselt mich. Margot erinnert mich an die Frauen, die ich vor Lisa kannte. Sie paßten alle nicht zu mir. Damals gab ich die Vorstellung auf, es gebe irgendwo die ›richtige‹ Frau, und gewöhnte mich an den Schmerz über das dauerhafte Zusammensein mit einer unpassenden Frau. Kurz darauf lernte ich Lisa kennen. Jetzt ist Lisa weg, und ich überlege, ob ich mich nun wieder an Frauen gewöhnen muß, die nicht zu mir passen, mit denen ich aber doch zusammen bin, weil es keine anderen Frauen gibt. Dabei drängt es mich nicht zu einer neuen Liebesgeschichte, weder mit einer passenden noch mit einer unpassenden Frau, aber ich bin auch nicht ganz sicher. Margot näßt mir das Haar und erzählt dabei von einem mißlungenen Urlaub an der Ostsee. Ihre Mutter hat sich beinahe täglich über das schlechte Wetter, den schlechten Service und das schlechtgelaunte Personal geärgert. Schließlich habe ich mich ebenfalls über das Wetter, den Service und das Personal geärgert, sagt Margot, obwohl mir diese Dinge sonst vollkommen egal sind. Das war das letzte Mal, daß ich mit meiner Mutter in Urlaub gefahren bin. Wir lachen. Margot nimmt mir vorsichtig die Brille ab und kürzt mir das über die Ohren gewachsene Haar. Jetzt spricht sie über die Unterschlagungen ihres Bruders, von denen ich bei einem früheren Besuch schon gehört habe. Nach etwa fünfzehn Minuten schwenkt sie einen runden Frisierspiegel hinter meinem Hinterkopf hin und her. Ich nicke und sage zu meinem frisch geschnittenen Haar: Wunderbar, ganz ausgezeichnet. An diesem übertriebenen Kommentar erkenne ich, daß ich nicht sofort nach Hause gehen werde. Margot pinselt mir das Genick aus und schiebt die auf dem Umhang verteilten Haarbüschel auf den Boden. Sie löst die Verschnürung des Umhangs und rasiert den Nacken aus. Die Katze
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