Ein reines Gewissen
sprechen. Das Hühnchen stammte aus einem Coop auf dem Heimweg von Jude. Jetzt war ihm nicht ganz wohl, weil er zu viel gegessen hatte.
»Vielleicht können sie auch alle weg«, sagte er sich, den Blick auf den Bücherstapel gerichtet. Das würde bedeuten, dass er auf das Regal verzichten könnte und damit Platz gewinnen würde. Aber wofür eigentlich? Einen größeren Fernseher, eins von diesen Heimkinos? Dann würde er sich nur noch mehr Mist anschauen. Er war froh, als sein Handy summte, und schaute gleich nach. Es war eine SMS von Annie Inglis, die ihn für Sonntagmittag zum Essen einlud. Sie gab ihm ihre Adresse und beendete die Nachricht mit der einfachsten aller Fragen:
O.K.?
Fox fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und stellte fest, dass er bei seiner Arbeit mit den Büchern ins Schwitzen gekommen war. Ohnehin nicht der geschickteste aller SMS-Schreiber, brauchte er drei Anläufe, bis er mit seiner Antwort zufrieden war. Erst dann drückte er auf »Senden«. Seine Antwort war ein lapidares O.K., ohne irgendein Satzzeichen.
Samstag, 14. Februar 2009
13
Am Samstag schlief Fox lange, allerdings war er auch erst um zwei Uhr eingeschlafen. Gegen elf saß er am Küchentisch, vor sich drei Zeitungen: Scotsman, Herald und die früheste Ausgabe der Evening News. Er war auf der Suche nach Hintergrundinformationen über Charlie Brogan, und der schottische Journalismus war ihm dabei gerne behilflich. Wurzeln in der Arbeiterklasse, aufgewachsen und zur Schule gegangen in Falkirk. Sein Vater war Schreiner gewesen, von ihm hatte sich Charlie, noch bevor er von der Schule geflogen war, ein paar Fertigkeiten abgeschaut. Sein Lebenslauf war lang und breit gefächert, vom Teppichverleger bis zum Hausierer hatte er kaum etwas ausgelassen. Diese beiden Tätigkeiten hatte Brogan schließlich kombiniert und eine Firma gegründet, die Bodenbeläge an Industrie- und andere Unternehmen verkaufte. Mit dreiundzwanzig hatte er genug Geld gespart, um sich einen großen Wurf leisten zu können: Er kaufte Wohnungen, um sie zu vermieten oder für den Weiterverkauf zu renovieren. Die Wirtschaft florierte, und als Brogan sich auf die komplette Erschließung von Grundstücken verlegte, wurde er noch vermögender und begann in einflussreichen und wohlhabenden Kreisen zu verkehren. Er genoss die Gastfreundschaft von Bankern und anderen Geschäftsleuten, ging mit einigen der begehrtesten jungen Frauen Schottlands aus und lernte schließlich Joanna Broughton kennen, die er dann heiratete.
Die Zeitungen brachten mehrere Schnappschüsse von Joanna. Sie sah nach wie vor toll aus, doch in ihren Gesichtszügen und ihrem Blick lag etwas Hartes. Selbst wenn sie lächelte, ließ sie den Fotografen wissen, dass sie es war, die das Heft in der Hand hatte. Ein Bild zeigte das Innere des Penthouses in Inverleith, dessen Wände mit Kunst behängt waren. In einer Extraspalte hatte ein Psychologe davor gewarnt, dass noch mehr ehemalige Senkrechtstarter zu tragischen Opfern der Kreditkrise werden könnten.
Die einzige öffentliche Schlappe in seiner langen Karriere hatte Brogan erlitten, als seinem Anliegen, in den Aufsichtsrat des Celtic FC zu gelangen, eine Abfuhr erteilt wurde. Einer seiner Freunde erinnerte sich für den Herald an diese Begebenheit: »Charlie konnte sich nicht damit abfinden, dass jemand ihm etwas abschlug. Es nagte dermaßen an ihm, dass er erwog, ins Lager der Glasgow Rangers überzuwechseln - so ein Typ war er!«
Ein Hitzkopf, dachte Fox. Ein Mann, der sich, wenn er brüskiert wurde, lieber aufregte, als eine rationale Erklärung dafür zu suchen. Einer, für den die Wirtschaftsflaute einen persönlichen Affront darstellte. Doch dieser Satz über die Rangers: »Nicht einlenken, sondern heimzahlen!« ließ darauf schließen, dass Brogan nicht der Typ war, der einfach aufgab. Er würde sich wehren wollen. Der Psychologe hatte sein Augenmerk auf die Wirtschaft gerichtet, dabei jedoch die allerwichtigste Frage außer Acht gelassen: Hätte man Charlie Brogan als suizidgefährdet bezeichnen können? Nirgends wurde ein Abschiedsbrief erwähnt; es gab keine Anzeichen dafür, dass er vor diesem Schritt seine Angelegenheiten in Ordnung gebracht hatte. Andererseits war das vielleicht auch verständlich: Er war mit seinem Boot hinausgefahren, immer weiter von seinen Problemen weg, hatte sich mit Pillen und Alkohol beruhigt. Womöglich war er an Deck gegangen, gestolpert und über Bord gefallen. Oder seine impulsive Ader
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