Ein reizvolles Angebot
ging. Er erinnerte sich noch, dass Nadia halb wahnsinnig geworden war, als sie feststellte, dass man ihr den Kopf rasiert hatte, um sie nach ihrem Unfall zu operieren.
Rand klappte das Handy zu. Nadia meldete sich nicht.
Obendrein hatte Tara jahrelang einen Job ausgeübt, der jämmerlich bezahlt wurde und sie völlig unterforderte. Zudem hatte sie einen furchtbaren Chef gehabt. Die Arbeit musste sie zu Tode gelangweilt haben. Rand hatte sich ihre Personalakte angesehen, in der ihre frühere Arbeitsstelle beschrieben war. Sie hatte durchgehalten – ihrer Mutter zuliebe.
Das alles passte nicht zusammen.
Schließlich hatte sie es sogar mit ihm ausgehalten. Tara gegenüber war Rand ein miserabler Vorgesetzter gewesen: launisch, unbeherrscht, ungerecht und unberechenbar. Die Assistentin, die er früher bei Wayfarer in Kalifornien hatte, hätte sich das keine zwei Tage lang bieten lassen. Tara ertrug es, und das sicherlich nicht seinetwegen, sondern vor allem für Mitch und Nadia, so wie er sie behandelte.
Dabei ertrug sie ihn nicht einfach. Sie hatte sich in den letzten Jahren verändert. Sie gab nicht klein bei, verteidigte ihre Standpunkte und ließ ihm auch nicht durchgehen, wenn er sich mal wieder im Ton vergriff. Damals war Tara ein süßes kleines Mädchen gewesen, mit dem er viel Spaß hatte und das ihn grenzenlos anhimmelte. Heute war er es, der sie heimlich bewunderte, wenn er daran dachte, was sie in dieser kurzen Zeit auf ihrem Posten schon erreicht hatte. Sie war ohne Frage in den Jahren, in denen sie für ihre Mutter gesorgt hatte, gereift.
Aber wieder schob sich dieses andere Bild vor Rands Augen: Tara, wie sie mitten in der Nacht aus dem Schlafzimmer seines Vaters kam, einen verräterischen Fleck am Hals und die Kleider verknittert. Es war offensichtlich, was hinter dieser Tür geschehen war. Was, wenn nicht sein Vermögen, konnte sie an einem Mann reizen, der mehr als doppelt so alt war wie sie? Suchte sie eine Vaterfigur, nachdem sie ohne Vater aufgewachsen war? Oder war es doch das Geld?
Was sie derzeit verdiente, war schon mehr als ein Traumgehalt. Sie hatte sich gut verkauft, als Rand sie bitten musste, wieder bei KCL anzufangen. Sie behauptete, das Geld für die noch offenen Arzt- und Krankenhausrechnungen zu brauchen. Wenn man die Einrichtung ihres Hauses, ihre Garderobe oder ihr klappriges altes Auto betrachtete, konnte man nicht behaupten, dass sie das Gehalt für sich ausgab.
Rand stand auf und ging ungeduldig ein paar Schritte auf und ab. Es war wie mit diesen vertrackten Rendezvous-Bilanzen: Es ergab sich einfach kein schlüssiges Bild.
Es sei denn … Rand sah durch das Fenster in die dunkle Nacht. Everett Kincaid war ein Meister darin gewesen, andere zu manipulieren, und Tara war damals ein unerfahrenes junges Mädchen. Rand selbst hatte es gesagt: Sein Vater hatte die bemerkenswerte Gabe, gerade bei Frauen die wunden Punkte ausfindig zu machen und gnadenlos für sich auszunutzen. Vielleicht war Tara ebenso sein Opfer geworden wie er selbst. Sein Gefühl hatte ihm schon immer gesagt, dass er Tara mehr vertrauen sollte. Aber das Risiko war hoch. Für ihn, für die Reederei und nicht zuletzt, wenn an dem Kincaid-Fluch tatsächlich etwas dran war, für Tara.
Die Zweifel, die sie plagten, wurden immer unerträglicher. Die Frage, ob sie sich in Everett wirklich so grundlegend getäuscht hatte, ließ Tara nicht mehr los. Der einzige Weg, das herauszubekommen, führte über Rand. Sie musste mit ihm reden und dabei standhaft bleiben, auch wenn er sie abwies.
Sie fand Rand schon am frühen Morgen im Schwimmbad des firmeneigenen Fitnesszentrums im zweiten Stock des Bürohochhauses der KCL. Nach etlichen Bahnen, die er in atemberaubendem Tempo zurückgelegt hatte, schien er endlich genug zu haben. Er legte die Hände auf den gekachelten Rand des Schwimmbeckens, stemmte sich hoch und richtete sich auf. Das Wasser lief in kleinen Bächen an ihm herunter. Nach der Anstrengung atmete er schwer, und sein muskulöser Brustkorb hob und senkte sich schnell. Das dunkle Haar klebte ihm am Kopf.
Jetzt erst bemerkte Rand Tara, die schon eine ganze Weile in einem Sessel ein Stück abseits saß und den einsamen Schwimmer beobachtet hatte. Er fuhr sich mit der Hand über das nasse Gesicht. „Wieder so früh heute?“, fragte er.
„Ich wollte die Statistik über die Auslastung der Rendezvous Line aus dem Intranet herunterladen, bevor die anderen kommen. Der Wachmann hat mir gesagt, dass du hier
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