Ein Rest von Schuld - Rankin, I: Rest von Schuld - Exit Music
Hauseingang auf der Great Stuart Street. Autos rumpelten über das Kopfsteinpflaster, auf dem Weg zur Queen und George Street. Die Morgen-Rushhour war noch nicht ganz vorbei, und Rebus musste sich hinunterbeugen und das Ohr an den Lautsprecher halten, um die Antwort zu verstehen, die schließlich kam.
»Was gibt’s?« Die Stimme klang verschlafen.
»Tut mir leid, wenn ich Sie geweckt haben sollte.« Rebus gab sich zerknirscht. »Ich bin Polizeibeamter, hätte noch ein paar Fragen betreffend Miss Sievewright.«
»Sie machen wohl Witze.« Verschlafen und gereizt.
»Warten Sie, bis Sie die Pointe hören.«
Das bekam sie aber nicht mit: Das Katzenkopfpflaster rüttelte gerade einen Laster durch. Lieber, als sich zu wiederholen, bat Rebus lediglich, hereingelassen zu werden.
»Ich muss mich erst anziehen.«
Er wiederholte seine Bitte, und der Türsummer ertönte. Rebus drückte die Tür auf und stieg die zwei Treppen hinauf. Sie hatte die Wohnungstür für ihn einen Spaltbreit aufgemacht, aber er klopfte trotzdem an.
»Warten Sie im Wohnzimmer!«, rief sie, wahrscheinlich aus dem Schlafzimmer. Rebus konnte das Wohnzimmer sehen. Es befand sich am Ende eines breiten Flurs, von der Art, die häufig als »Essdiele« bezeichnet wurde, was bedeutete, dass man da einen Tisch hätte hinstellen und seine Gäste bewirten können, anstatt ihnen den ganzen langen Weg bis zum eigentlichen Wohnzimmer zuzumuten. Rebus fand das irgendwie typisch Edinburgh. Gastlich, aber nicht zu sehr. Das Wohnzimmer prunkte mit grellweißen Wänden nebst dazu passenden grellweißen Möbeln. Man kam sich vor, als beträte man einen Iglu. Die Bodendielen waren abgezogen und klar lackiert worden; er konzentrierte sich kurzzeitig auf sie, um nicht schneeblind zu werden. Es war ein großes Zimmer mit hoher Decke und zwei riesigen Fenstern. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Gill Morgan sich die Wohnung mit jemandem teilte – sie war einfach zu ordentlich. Über dem Kamin hing ein Flachbildfernseher; Dekorationsgegenstände gab es nicht – ein Zimmer wie aus der Sonntagsbeilage, dafür konzipiert, fotografiert, aber nicht bewohnt zu werden.
»Entschuldigen Sie«, sagte die junge Frau, die ins Zimmer trat. »Nachdem ich Sie reingelassen hatte, ist mir klargeworden, dass Sie sonst wer sein könnten. Die Beamten, die neulich hier waren, hatten Ausweise dabei – könnte ich Ihren sehen?«
Rebus zog seinen Dienstausweis heraus, und während sie ihn musterte, musterte er sie. Sie war winzig, elfisch beinahe. Wahrscheinlich nicht mal eins fünfzig groß, dazu ein spitzes Gesichtchen und mandelförmige Augen. Zu einem Pferdeschwanz gebundenes braunes Haar und Ärmchen von der Dicke eines Pfeifenreinigers. Hawes und Tibbet hatten gesagt, sie sei so eine Art Model … Rebus fiel es schwer, das zu glauben. Hieß es nicht immer, Models wären groß? Mit seinen Papieren zufrieden, hatte sich Morgan in einen weißen Ledersessel sinken lassen und die Beine untergeschlagen.
»Also, wie kann ich Ihnen helfen, Detective Inspector?«, fragte sie, die Hände um die Knie verschränkt.
»Meine Kollegen sagten, Sie würden als Model arbeiten, Miss Morgan – an Aufträgen scheinen Sie ja keinen Mangel zu leiden.« Er tat so, als würde er sich bewundernd im Wohnzimmer umsehen.
»Genau genommen wechsle ich gerade zur Schauspielerei über.«
»Wirklich?« Rebus bemühte sich, interessiert zu klingen. Die meisten hätten Rebus’ Frage mit der Gegenfrage beantwortet, was ihn das eigentlich anging, nicht aber Gill Morgan. In ihrem Universum war es etwas ganz Natürliches, über sie zu reden.
»Ich nehme seit einiger Zeit Unterricht.«
»Könnte ich Sie schon irgendwo gesehen haben?«
»Wahrscheinlich noch nicht«, sagte sie bedeutsam, »aber ich habe eine Filmrolle in Aussicht.«
»Filmrolle? Ich bin beeindruckt …« Rebus ließ sich auf dem Sessel ihr gegenüber nieder.
»Nur eine kleine Nebenrolle in einem TV-Film …« Morgan schien das Bedürfnis zu verspüren, die Sache möglichst herunterzuspielen, zweifellos in der Hoffnung, dass er sie dann für bescheiden hielte.
Er ging auf das Spielchen ein. »Trotzdem aufregend«, sagte er. »Und es beantwortet wahrscheinlich etwas, was wir uns die ganze Zeit gefragt haben.«
Jetzt machte sie ein verdutztes Gesicht. »Ach ja?«
»Als meine Kollegen sich mit Ihnen unterhalten haben, war ihnen klar, dass Sie versuchten, ihnen ein Märchen aufzutischen. Da Sie jetzt sagen, Sie seien
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