Ein Rest von Schuld - Rankin, I: Rest von Schuld - Exit Music
Flachwichser singen, der da vor uns sitzt.«
»Und das«, fügte Corbyn triumphierend hinzu, »ist der Grund Ihrer Suspendierung.«
Rebus konnte es kaum glauben, dass die Hand noch immer da war. »Sie wollen meinen Dienstausweis?«, fragte er ruhig. »Dann schicken Sie die Jungs vorbei.« Er wandte sich ab und ging zur Tür. Da stand bereits eine Sekretärin und riss, eine Akte an die Brust gedrückt, Mund und Augen auf. Rebus versicherte ihr mit einem Kopfnicken, dass ihre Ohren sie nicht getrogen hatten, und formte mit den Lippen, nur zur Sicherheit, lautlos das Wort »Flachwichser«.
Draußen auf dem Parkplatz schloss er seinen Saab auf, blieb aber dann, die Hand am Türgriff, den Blick leer, stehen. Er wusste es schon seit geraumer Zeit – es war nicht die Unterwelt, vor der man sich fürchten musste, sondern die Oberwelt. Vielleicht erklärte das, warum Cafferty nach außen hin »sauber« geworden war. Ein paar Freunde an den richtigen Stellen, und Deals liefen wie von selbst, Schicksale wurden unter der Hand entschieden. Noch nie, solange er lebte, hatte sich Rebus wie ein Insider gefühlt. Hin und wieder hatte er es versucht – während seiner mehrjährigen Zeit bei der Army etwa und in seinen ersten paar Monaten als Bulle. Aber je weniger er das Gefühl hatte dazuzugehören, desto misstrauischer wurde er gegenüber seiner Umgebung, den Leuten mit ihren Golfspielen und »Wörtchen unter vier Augen«, ihrem Beinchenstellen und Händeschütteln, gegenseitigem Schmieren und Rückenkraulen. Logisch, dass jemand wie Addison sich gleich ganz nach oben wandte; er hatte es getan, weil er es konnte, weil es in seiner Welt als absolut gerechtfertigt und korrekt galt. Rebus musste allerdings zugeben, dass er Corbyn unterschätzt und nicht erwartet hatte, dass er diese Schau abziehen würde. Ihn bis zur Überreichung der goldenen Uhr auf die Bank zu setzen.
»Flachwichser«, wiederholte er laut und meinte damit diesmal sich selbst.
Das war’s dann also. Ende der Geschichte, Ende des Jobs. In den letzten Wochen hatte er alles getan, um nicht daran zu denken – hatte sich in die Arbeit, in jede beliebige Arbeit gestürzt. Hatte diese alten ungelösten Fälle ausgegraben, hatte versucht, Siobhan dafür zu interessieren, als hätte sie nicht schon so mehr als genug am Hals – woran sich vermutlich auch künftig nichts ändern würde. Die Alternative war, den ganzen Krempel mit nach Haus zu nehmen … nenn’s Verabschiedungsgeschenk; etwas, mit dem er sein Gehirn beschäftigen konnte, wenn ihm der Sinn einmal nicht nach dem Pub stand. Mittlerweile drei Jahrzehnte hatte ihn dieser Job am Leben erhalten und ihn dabei nicht mehr gekostet als seine Ehe, etliche Freundschaften und in die Brüche gegangene Beziehungen. Unmöglich, dass er sich jemals wieder als Normalbürger fühlen würde; dafür war’s zu spät; zu spät, um sich noch zu ändern. Er würde unsichtbar werden – für alle, nicht nur für Party machende Jugendliche.
»Fuck«, sagte er und dehnte dabei das Wort weit über seine natürliche Länge aus.
Es war diese beiläufige Arroganz, die ihn in Rage gebracht hatte, der Anblick Addisons, der im Vollbewusstsein seiner Macht dasaß – und auch die Arroganz der Stieftochter, die sich einbildete, ein Anruf bei Papi würde alles wieder ins Lot bringen. Aber so, begriff Rebus, funktionierte es nun mal in der Oberwelt. Addison war noch nie in einem verpissten Treppenhaus zu sich gekommen, in dem man ihn zusammengeschlagen hatte. Seine Stieftochter war nie auf den Strich gegangen, um Geld für ihren nächsten Schuss und das Abendessen ihrer Kinder zu verdienen. Sie lebten in einer völlig anderen Welt, was ohne Zweifel mit ein Grund für den Kick war, den es Gill Morgan verschaffte, mit Leuten wie Nancy Sievewright zu verkehren.
Den gleichen Kick, den es Corbyn verschaffte, wenn einer der mächtigsten Männer Europas ihn um einen Gefallen bat.
Den gleichen Kick, den es Cafferty verschaffte, Geschäftsleuten und Politikern Drinks zu spendieren … Cafferty: eine unerledigte Angelegenheit, die vermutlich auch unerledigt bleiben würde, wenn Rebus Corbyns Befehlen nachkam. Ein entfesselter Cafferty, frei, nach Belieben zwischen Unterund Oberwelt hin und her zu wechseln. Es sei denn, Rebus ging jetzt sofort wieder hinein und entschuldigte sich beim Chief Constable, versprach, von nun an zu spuren.
Der Schrottplatz kommt mir sowieso schon mit Riesenschritten entgegen … geben Sie mir diese eine letzte Chance
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