Ein Rezept für die Liebe: Roman (German Edition)
Mundwinkel spielte ein vollkommen normales Lächeln.
Auf den ersten Blick waren die Meyers die perfekte, normale Familie gewesen. Aber hätte Kate sich die Mühe gemacht, genauer hinzusehen und zu recherchieren, hätte sie festgestellt, dass diese Normalität lediglich eine sorgfältig konstruierte Fassade darstellte. Sie hätte entdeckt, dass Randy systematisch sämtliche Facetten des Lebens jedes Familienmitglieds kontrollierte.
Er hatte seine Frau nicht körperlich misshandelt, dafür hatte er voll und ganz über ihr Leben bestimmt. Er hatte ihr nicht den Umgang mit ihren Freunden und ihrer Familie verboten, sondern stattdessen dafür gesorgt, dass sie sich von ihnen entfremdete. Er hatte sich Zugang zu jedem Aspekt ihres Lebens verschafft, hatte dafür gesorgt, dass er an allem beteiligt war, was sie tat. Er hatte ihr nicht erlaubt, arbeiten zu gehen, dafür hatte sie Volkshochschulkurse belegen dürfen. Der springende Punkt war, dass er genau dieselben belegt hatte. Er hatte die Fußballmannschaft seiner Tochter trainiert und die Pfadfindergruppe seines Sohnes geleitet. Er war ständig und überall präsent gewesen. Hatte unablässig kontrolliert und alles im Auge behalten.
Als Doreen ihn verließ, hatte er die Tatsache nicht verkraftet,
dass er nicht länger im Mittelpunkt ihres Lebens stand. Er war zwei Tage ohne Pause durchgefahren, um sie zu finden. Dann hatte er seinen letzten Akt der Kontrolle vollzogen. Er hatte dafür gesorgt, dass sie alle zusammen waren. Unter demselben Grabstein auf dem Friedhof von Tennessee.
Doch so oft Kate sich auch sagen mochte, dass sie nicht dafür verantwortlich war, was dieser durchgeknallte Irre seiner Familie angetan hatte, konnte sie ihre Beteiligung an dieser Tragödie nicht leugnen. Sie spürte die Last des Todes der Familie auf ihren Schultern und wusste, dass trotz allem Blut an ihren Händen klebte.
Sie hatte keine Ahnung, ob sie jemals über das hinwegkommen würde, was sich in jenem kleinen Haus in Tennessee abgespielt hatte, aber sie würde es zumindest versuchen. Sie würde ihr Leben wieder in die Hand nehmen. Und sie würde ihrem Großvater helfen, auch seines wieder in den Griff zu bekommen.
Sie legte die Oliven in eine der Schalen und gab den Deckel darauf. Um ihres Großvaters willen würde sie versuchen, sich mit Rob anzufreunden. Wenn er tatsächlich etwas für Grace empfand, wollte Kate ihm auf keinen Fall im Weg stehen. Denn trotz allem, was ihr Großvater glaubte, war sie durchaus ein »geselliger Mensch«.
Verdammt.
Am nächsten Morgen ging Kate früh in den Laden und sah sich die Brotrezepte an, die ihre Großmutter in einer Schachtel im M & S Market aufbewahrt hatte. Sie hätte gern ein italienisches Fladenbrot gebacken, doch sie hatten keine frische Hefe im Laden. Also entschied sie sich für ein Brot aus Weizenschrot, das mit Trockenhefe hergestellt wurde, und machte sich an die Arbeit. Als ihr Großvater um halb sieben Uhr morgens kam, um
den Laden aufzuschließen, nahm sie gerade die warmen Laibe aus dem Ofen.
»Das riecht ja wunderbar, Katie«, rief er, hängte seine Jacke und seine Strickmütze an den Haken an der Hintertür und fuhr sich mit der Hand über seine Glatze.
»Du bist gestern spät nach Hause gekommen«, bemerkte sie, schnitt ihm eine Scheibe ab und bestrich sie mit Butter.
»Grace hat mir einige ihrer Gedichte vorgelesen und war so nett, mir ein paar Tipps zu geben.« Er nahm die Brotscheibe und biss hinein. Sie hatte keine Ahnung, ob seine Wangen von der Kälte so rosig waren, aber es ließ sich nicht leugnen, dass sie von einer feinen Röte überzogen waren.
Sie trat an einen der Schränke, stellte sich auf die Zehenspitzen und nahm einige Brottüten heraus. »Du schreibst also jetzt selbst Gedichte?«
»Poesie ist Nahrung für die Seele der Menschheit.«
Sie verlagerte das Gewicht wieder auf die Fersen und drehte sich langsam um. Der Mann vor ihr sah aus wie Stanley Caldwell. Er stand im Hinterzimmer, aß eine Scheibe Brot, wobei ein wenig Butter an seinem Schnurrbart hängen blieb, und trug dieselben weißen Hosen und das Hemd, mit dem auch ihr Großvater stets im Laden erschien. Und dieselbe Schürze, die er sich jeden Morgen umband, ehe er das Haus verließ. Aber er klang nicht wie ihr Großvater. »Hat Grace das gesagt?«
Er nickte und ging mit seiner Brotscheibe in der Hand in den Laden. Kurz darauf hörte sie ihn den Kaffeeautomaten anschalten. Den hat’s erwischt , dachte sie, als sie die Laibe in die
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