Ein Ring aus Asche
etra?«
Petra blinzelte und blickte in Sophies Gesicht, das noch genauso glatt und faltenfrei war wie mit zwanzig Jahren. Sophie sah besorgt aus. Petra setzte sich auf und öffnete die Autotür.
»T ut mir leid«, sagte sie, während sie aus dem Wagen kletterte. »T räumereien.«
Sie blickte sich um. Sie hatten in einer engen Schotterstraße geparkt, die so selten benutzt wurde, dass Grasbüschel ihren Weg durch den Belag gefunden hatten. »W o sind wir hier?«
Ouida machte eine Handbewegung in Richtung der Landkarte, die auf dem Kofferraum des Autos ausgebreitet lag.
»H ier«, sagte Sophie und deutete auf einen Punkt. »E in bisschen südöstlich von Chacahoula. Wir haben die Hauptstraße vor ungefähr vierzig Minuten verlassen.«
»H ast du dich ein bisschen ausruhen können?«, fragte Ouida.
»J a.« Petra straffte die Schultern. »I ch kann das jetzt angehen.«
7
»I ch vermisse Boston«, grummelte Ouida und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Petra lächelte ihr zu und strich sich das feuchte Haar zurück. Der September war in der Stadt schon schlimm genug, aber hier inmitten der Wälder, direkt am Rand des Sumpfes, war es fast zum Ersticken.
»M an kann nicht mal atmen«, sagte Ouida. »M an muss die Luft richtiggehend runterschlucken, so dick ist sie.«
»I ch vermisse Paris«, sagte Sophie.
»D u und Manon, ihr werdet bald dorthin zurückkehren können«, beruhigte Petra sie.
»J a…«, erwiderte Sophie zögernd.
Ouida warf einen prüfenden Blick auf ihren Kompass. Dann sah sie nach oben in den Himmel und wieder auf die detaillierte topografische Karte, die sie vom landwirtschaftlichen Beratungsservice bekommen hatte. »A lso, soweit ich das überblicken kann, müssten wir eigentlich da sein.«
Petra schaute sich um, doch nichts kam ihr bekannt vor. Vor vielleicht einhundert Jahren waren die meisten Bäume hier abgeholzt worden. Seitdem waren neue Triebe aus dem Boden geschossen, und die Natur forderte zurück, was ihr gehörte.
»O kay«, sagte sie und zog ein paar magische Utensilien aus der Tasche ihres Kleids. »D ann können wir es genauso gut versuchen.«
»E s ist unheimlich, hier zu sein«, sagte Sophie. Sie warf einen vorsichtigen Blick über die Schulter, als würde sie erwarten, dass jeden Moment jemand aus dem Wald gesprungen kam.
Das Licht war schummerig und die einzigen vernehmbaren Laute waren die der Insekten und Vögel.
Schnell malten die drei Frauen einen Kreis in die Erde, stellten sich hinein und hielten sich an den Händen. Petra fühlte eine Schwere auf sich lasten, die nicht nur von der Hitze und der Feuchtigkeit herrührte. Verdammter Daedalus! Als er Thais nach New Orleans gebracht hatte, hatte er ein Vipernnest aufgescheucht. Und nun kroch Schlange um Schlange heraus und webte Pfade der Gefahr um Clio und Thais. Die Zwillinge waren bereits mehrere Male fast getötet worden. Der Göttin sei Dank, dass Melysa zum Zeitpunkt der Wespenattacke zu Hause gewesen war! Petras eigenes Haus war ein einziges nasses, geschwärztes Mahnmal und zeigte ihr, dass etwas in ihrem Leben außer Kontrolle geraten war.
»P etra?« Sophies Stimme klang sanft.
»E ntschuldige.« Petra schloss die Augen und atmete langsam aus, wobei sie versuchte, alle Anspannung und Furcht loszulassen. Und endlich, endlich merkte Petra, wie sie in den Raum zwischen Wachen und Traum glitt, wo ihre Grenzen verschwammen und eins wurden mit allem, was sie umgab. Sie fühlte Ouidas Atem, hörte Sophies Herzschlag, spürte ihre Energien, die gealtert waren, für immer geprägt vom Leben, und doch nach wie vor wunderschön. Sie begann mit ihrem Lied aus Macht und Magie, leise zuerst und federleicht in der Luft schwebend. Bald darauf stimmten erst Sophie und dann Ouida mit ein. Die drei verwoben ihre Gesänge wie feines Garn, das zu einem festen, seidenen Strick gedreht wird.
Petra fühlte, wie Kraft in ihr aufstieg und ihre Magie stärker wurde. Als die Erde unter ihren Füßen zu beben begann, öffnete sie die Augen. Ihre Stimmen ließen nicht nach, doch sie sahen einander an. Das ganze Louisiana-Delta bestand aus vielen Schichten Lehm und dem Schlick des Flusses. Erdbeben gab es hier nie.
Petra keuchte. Sie hatte das Gefühl, als würde eine riesige Hand die Kraft aus ihrer Brust herauspressen. Sie merkte, wie Ouida und Sophie ihre Hände kräftiger drückten. Sie schloss die Augen und versuchte, konzentriert zu bleiben.
Der Klang ihrer Stimmen steigerte sich zu einem mächtigen, femininen
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