Ein Ring von Tiffany - Roman
Mutter würde auf jeden Fall noch etwas kommen. Kaum war die Tür zu, riss sie sich die nassen Klamotten vom Leib, warf sie neben dem Schrank auf einen Haufen und verzog sich schnurstracks ins Bad. Als ihre Kopfhaut unter dem warmen Strahl langsam wieder auftaute, hörte sie ihr Handy klingeln. Dann gab der Festnetzanschluss Laut und als Nächstes wieder ihr Handy. Unwillkürlich hoffte sie, es wäre Rafi - dass er irgendwie ihre Nummer herausgefunden hatte und sich nun entschuldigen wollte, weil er so ein Arsch gewesen war. Zugegeben, es war eher unwahrscheinlich, aber was wusste man schon? Er war nicht auf den Kopf gefallen und außerdem vermutlich der Einzige unter ihren Begegnungen - Affären - aus jüngster Zeit, der sich möglicherweise die Mühe machen mochte, sie aufzuspüren. George war mit Sicherheit schon längst bei seiner nächsten Studentin, und dass Croc Dundee sich noch einmal melden würde, konnte man ebenfalls ausschließen.
Nachdem sie die Haare mit einem Handtuch trocken gerubbelt und sich an der Toilette vorbeigezwängt hatte, um die Tür öffnen zu können, spazierte Emmy nackt durch ihr winziges
Apartment und zog eine Einkaufstüte unter ihrem Bett hervor. Behutsam löste sie das grob gerippte Band, das die Griffe zusammenhielt, und nahm vorsichtig das in Seidenpapier eingeschlagene Päckchen heraus. Dann verließ sie die Geduld. Sie riss das aufgeklebte Etikett mit dem Monogramm mitten durch, knüllte das Seidenpapier zusammen und vergrub ihre Hände in der flauschigen Weichheit des teuersten Kleidungsstücks, das sie je ihr Eigen genannt hatte. Es einen Bademantel zu nennen, wäre weder dem erlesenen, kuscheligen vierfädigen Kaschmir noch seinem satten Schokoladenbraun oder der schlichten Eleganz des eingestickten E gerecht geworden. Bademäntel waren dazu da, über Flanellpyjamas getragen zu werden oder auf dem Weg von der Umkleidekabine zum Pool einen Hauch von Anstand zu wahren. Aber das hier? Das war dazu bestimmt, sich sexy an jede Kurve zu schmiegen (oder, in Emmys Fall, die wenigen vorhandenen Kurven schmeichelhaft hervorzuheben), sich so leicht wie Seide und so warm wie eine Daunendecke anzufühlen. Beim Gehen streifte er ganz leicht den Boden, und mit der Zugkordel um die Taille kam sie sich vor wie ein Model. Mit einem Schlag war sie himmlisch erleichtert. Es war also doch kein Fehler gewesen. Sie hatte das Teil ein paar Wochen zuvor im Schaufenster der teuersten Dessousboutique von SoHo entdeckt, einem Laden, in dem fünf Zentimeter Stoff nicht unter ein paar hundert Dollar zu haben waren. Jeder BH, jeder Slip, jedes Paar Strümpfe von dort kosteten mehr als eins ihrer Kleider, was den Bademantel - nun ja - zu einem so großen Posten in ihrem Monatsbudget machte, dass sie den Gedanken daran lieber verdrängte. Wie hatte sie überhaupt den Mut aufgebracht, das Geschäft zu betreten? Sie erinnerte sich bestenfalls verschwommen, wusste nur noch, wie gut sie in dem Bademantel ausgesehen hatte, als sie da in den von der Verkäuferin zur Verfügung gestellten sexy Stilettos mit geschürzten Lippen und herausgereckter Hüfte in der vornehmen Ankleidekabine mit den schweren Brokatvorhängen stand. Ein Blick in den Spiegel
bestätigte ihr an diesem Abend, dass sich daran in den Wochen, die der Bademantel nun schon jungfräulich verpackt auf ihren großen Geburtstag wartete, nichts verändert hatte. Immer noch vor dem Spiegel stehend fasste Emmy ihr nasses Haar zu einem eleganten Knoten zusammen und biss sich auf die Lippen, um ihnen mehr Fülle zu verleihen. Aus ihrer Schminkschublade nahm sie ein neues Lipgloss im Farbton Sheer Berry, trug es auf und patschte es sich ein paarmal auf die Wangen. Nicht schlecht , dachte sie angenehm überrascht. Gar nicht übel für dreißig. Im nächsten Moment hatte das spontane Styling seinen Reiz verloren - sie stellte fest, dass sie einen Wolfshunger hatte, schlüpfte in flaumweiche Schafwollschühchen, knotete sich den Kaschmirtraum fester um die Taille und begab sich in die Küche, um sich einen Teller Suppe zu machen.
Gerade als sie die Kochplatte anschaltete, klingelte erneut der Festnetzapparat.
Anruferkennung unterdrückt? Hmmm.
»Hallo?«, sagte sie und klemmte sich das Telefon zwischen Ohr und Schulter, während sie eine Dose Hühnersuppe mit Nudeln aufstemmte.
»Em? Ich bin’s.«
Ganz gleich, wie viele Monate vergingen - es schien, als würde Duncan immer »Ich bin’s« sagen und Emmy immer haargenau wissen, wer dran war. Die Gedanken
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