Ein Ring von Tiffany - Roman
nicht verdient
»Komm ins Bett, Schatz. Es ist schon fast eins. Willst du nicht langsam Schluss machen?« Russell zog sich sein T-Shirt aus und drehte sich auf die Seite. Den schwarz gelockten Kopf in die rechte Hand gestützt, sah er zu Leigh hinüber und klopfte ein paarmal leicht mit der linken auf das Betttuch, eine Geste, die einladend und verführerisch gemeint war, auf Leigh aber immer ein bisschen bedrohlich wirkte.
»Nur noch ein paar Seiten, dann bin ich fertig. Stört dich das Licht? Ich kann auch ins Wohnzimmer gehen.«
Er seufzte und griff nach seinem Buch: Der neue Muskel-Guide: Gezieltes Krafttraining - Anatomie . »Das Licht macht mir nichts aus, Darling. Das weißt du doch. Aber wir sind seit Wochen nicht mehr zusammen eingeschlafen. Du fehlst mir.«
Ihr erster Gedanke war, dass er sich wie ein quengeliges Kind anhörte; schließlich saß sie an einem der begehrtesten Manuskripte des Jahres, und es war ungeheuer wichtig, dass sie es bis zur Vertriebskonferenz am nächsten Morgen durchgelesen hatte. Nach acht mühevollen Jahren in ihrem Beruf war sie endlich so weit gekommen, dass eine Stelle als Cheflektorin in greifbare Nähe gerückt war (schließlich gab es bei Brook Harris nur sechs davon, und sie könnte als Jüngste in ihren Kreis aufsteigen). Aber Russell schien zu glauben, nach einem Jahr als ihr Freund über ihr ganzes Leben bestimmen zu können. Wer von ihnen hatte denn hier schließlich wen gebeten, über Nacht bleiben zu können? Hatte sie etwa nach ihrer wöchentlichen Pokerpartie plötzlich unangekündigt vor seiner Tür gestanden,
mit den Wimpern geklimpert und Ich musste dich einfach sehen, Baby geschmachtet?
Ihr nächster Gedanke war auch nicht erfreulicher: Sie war die unmöglichste, unfreundlichste, undankbarste Zimtzicke, die es gab, wenn sie so etwas Gemeines über Russell auch nur denken konnte. Das war vor einem Jahr noch ein bisschen anders gewesen. Als er sie auf der großen Verlagsparty zum Erscheinen der Memoiren des Footballcoachs Bill Parcell ansprach, erkannte sie ihn sofort. Und das, obwohl sie nicht gerade der Mensch war, der freiwillig den Sportkanal einschaltete. Aber sie hatte von ihm gehört. Der Moderator mit dem jungenhaften Lächeln und den süßen Grübchen galt als einer der begehrtesten Junggesellen in ganz Manhattan, weshalb sie, als er sich ihr vorstellte, eine Extraportion Charme aufgelegt hatte. Sie hatten an jenem Abend stundenlang geredet, zuerst auf der Party und anschlie ßend noch bei einem Bier in Pete’s Tavern. Mit geradezu schockierender Offenheit gestand er ihr, dass er von der New Yorker Datingszene mit ihren Models und Filmstars die Nase voll hatte und jetzt endlich eine »richtige Frau« kennenlernen wollte, wobei er durchblicken ließ, dass Leigh für diese Rolle durchaus als perfekte Kandidatin infrage käme. Natürlich fühlte sie sich durch sein Interesse geehrt. Die Frau, die Russell Perrin von der Bettkante geschubst hätte, war noch nicht geboren worden. Er erfüllte sämtliche Kriterien sämtlicher Wunschlisten, aus denen sie sich seit zehn Jahren ihren Traummann zusammenbastelte, auch wenn sie nie wirklich daran geglaubt hatte, dass er ihr eines Tages über den Weg laufen würde.
Und jetzt, ein Jahr später, hatte sie eine Beziehung mit diesem Adonis, der außerdem auch noch sensibel, gutherzig, fürsorglich und total in sie verliebt war. Und sie? Fühlte sich wie erstickt. Alle anderen Menschen in Leighs Leben waren felsenfest davon überzeugt, dass sie ihren Mister Right gefunden hatte, wieso konnte sie es dann nicht auch so sehen? Als wollte er den Finger auf die Wunde legen, wandte Russell ihr in diesem
Moment das Gesicht zu, sah ihr tief in die Augen und sagte: »Leigh, Darling. Ich liebe dich so sehr.«
»Ich dich auch«, gab sie wie aus der Pistole geschossen zurück, auch wenn jeder - der wildfremdeste Beobachter eingeschlossen - an der Aufrichtigkeit ihrer Antwort seine Zweifel gehabt hätte. Wie sollte man aber auch reagieren, wenn einem jemand, den man mochte und respektierte und gern noch besser kennengelernt hätte, nach zwei Monaten eher belanglosen Geplänkels eine leidenschaftliche Liebeserklärung machte? Man tat das, was jeder konfliktscheue Mensch in dieser Situation getan hätte, und konterte blitzschnell mit einem »Ich dich auch«. Leigh war davon ausgegangen, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis sich auch das dazugehörige Gefühl einstellte und sie diese Worte sehr viel aufrichtiger
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