Ein Ring von Tiffany - Roman
denken, wie sehnsüchtig sie früher genau von einer solchen Situation geträumt hatte: der Freund, der sie vergötterte, das romantische nächtliche Picknick, die gemütliche Wohnung, die mit allem eingerichtet war, was sie liebte. Damals war ihr dieser Wunsch fast unerfüllbar erschienen, und heute? Heute musste sie erkennen,
dass zwischen Traum und Wirklichkeit ein himmelweiter Unterschied bestand.
Kaum hatte Russell seine Plätzchen verputzt, schlang er die Arme um ein Kissen und war schon in der nächsten Sekunde tief und fest eingeschlafen. Welcher Mensch konnte so schlafen? Diese Frage ließ Leigh einfach nicht mehr los. Er sagte, es sei noch ein Talent aus Kindertagen. In einer turbulenten Familie mit zwei Schwestern, einem Kindermädchen und drei kläffenden Beagles sei ihm gar nichts anderes übrig geblieben, als sich diese Fähigkeit anzueignen, wenn er überhaupt einmal Schlaf finden wollte. Aber in Leighs Augen lag es eher an seinem reinen Gewissen und seiner gesunden Lebensführung sowie an der nicht wirklich bestreitbaren Tatsache, dass sein Alltag alles andere als stressig war. Kein Wunder, dass er selig wie ein Säugling schlummern konnte, wenn er jeden Tag zwei Stunden im Fitnessstudio verbrachte (eine Stunde Hanteltraining, eine Stunde Herz-Kreislauftraining) und bei der Ernährung komplett auf Koffein, Zucker, Konservierungsstoffe, weißes Mehl und Transfette verzichtete. Wenn man pro Woche nicht mehr als eine halbstündige Show aufzeichnete, die sich um ein naturgegebenes Männerthema (Sport) drehte, und sich die abzulesenden Texte von einem Team aus Schreibern und Produzenten auf dem Silbertablett präsentieren lassen konnte. Wenn man Familie, Freunde und Bekannte hatte, mit denen man sich aufs Prächtigste verstand und die einen so liebten, wie man war. Bei so viel Glück konnte einem wirklich das Essen oder zumindest die Galle hochkommen - eine Reaktion, die Leigh, wenn sie ganz ehrlich war, durchaus des Öfteren an sich beobachtete.
Heute Abend führte es nur dazu, dass sie sich verzweifelt nach einer Zigarette sehnte. Sie hatte zwar schon vor einem Jahr aufgehört, gleich nachdem sie Russell kennengelernt hatte, aber es verging trotzdem kein Tag, an dem sie nicht mit Freuden eine geraucht hätte. Raucher gerieten ja immer gern über
das Ritual des Rauchens ins Schwärmen: dass der Genuss zum großen Teil auch darin bestand, die pralle Packung zu befühlen, die knisternde Folie abzuwickeln, die würzig duftende Zigarette herauszuzupfen. Angeblich mochten sie das Anzünden, das Abklopfen der Asche, das Gefühl, etwas zwischen den Fingern zu halten. Das war ja alles gut und schön, aber Leigh persönlich gefiel am Rauchen am besten das Rauchen: Sie liebte die tiefen Lungenzüge. Mit den Lippen am Filter zu ziehen und zu spüren, wie ihr der Rauch über die Zunge strich, die Kehle hinunter und bis in die Lunge - das war, wie einen Augenblick lang ins Nirwana versetzt zu werden. Sie erinnerte sich - jeden Tag - an das Gefühl des ersten Zugs, wenn ihr das Nikotin direkt ins Blut gegangen war. Eine sekundenlange Mischung aus Ruhe und Wachheit, perfekt aufeinander abgestimmt. Und dann die Krönung dieses Glücksmoments: das genüssliche Ausatmen - kräftig genug, dass der Rauch nicht einfach nur aus dem Mund quoll, aber auch nicht so stark, dass der Zauber des Augenblicks dadurch gestört wurde.
Doch Leigh war nicht dumm; natürlich kannte sie alle Nachteile ihres geliebten Lasters. Emphyseme. Lungenkrebs. Herzkrankheiten. Bluthochdruck. Dass man in Illustrierten mit geteerten Lungen und im Fernsehen mit heiser sprechenden Kehlkopfoperierten konfrontiert wurde. Gelbe Zähne und schrumpelige Haut, nach Qualm stinkende Haare und die bräunlich verfärbte Stelle am Mittelfinger der rechten Hand. Das ständige Gezeter ihrer Mutter. Die düsteren Prophezeiungen ihres Hausarztes. Die guten Ratschläge wildfremder Menschen, die sich, wenn sie sich auf dem Bürgersteig vor dem Büro eine Rauchpause gönnte, an sie heranpirschten, um ihr mit todernster Stimme die zahllosen Gefahren des Rauchens unter die Nase zu reiben. Und natürlich Russell! Mister Mein-Körperist-ein-Tempel, der niemals etwas mit einer Raucherin anfangen würde, wie er ihr vom ersten Tag an überdeutlich zu verstehen gegeben hatte. Mehr als genug Gründe also, um noch
die leidenschaftlichste Raucherin in die Knie zu zwingen. Und so war Leigh, nachdem sie sich acht Jahre lang eine Schachtel am Tag reingezogen hatte, schließlich zur
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