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Ein Rückblick aus dem Jahr 2000

Ein Rückblick aus dem Jahr 2000

Titel: Ein Rückblick aus dem Jahr 2000 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Bellamy
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Gleichheit der Existenz jeder Antrieb zu redlichem Streben verschwinden müs se? Ihre Zeitgenossen dachten in Wirklichkeit nicht so, wenn sie sich vielleicht auch einredeten, daß dem so wäre. Wenn es sich um das höchste Streben, die völligste Selbstaufopferung handelte, so vertrauten auch sie auf ganz andere Beweggründe als auf Lohn und Einkommen. Wenn es galt, fürs Vaterland zu sterben, so spornte man damals die Soldaten nicht durch das Versprechen höheren Soldes an, sondern man sprach von dem Gebot der Ehre, von der Dankbarkeit der Mitbürger, von Vaterlandsliebe und Pflichtgefühl. Nie gab es ein Zeitalter, in dem diese Beweggründe nicht die besten und edelsten Triebe der Menschen geweckt hätten. Und nicht nur dies. Untersuchen Sie die Liebe zum Geld näher, die zu Ihrer Zeit der allgemeine Anreiz für die Bestrebungen der Menschen war! Sie finden dann, daß die Furcht vor dem Mangel und die Liebe zum Wohlleben nicht allein die Jagd nach dem Gelde entfesselten. Viele Menschen gehorchten ganz anderen Beweggründen, die bei weitem stärker waren: der Begierde nach Macht, nach einer einflußreichen sozialen Stellung, nach der Ehre, für einen Mann von Talent und Erfolg angesehen zu werden. Sie sehen also: wir haben zwar die Armut und die Furcht davor, wir haben das übermäßige Wohlleben und die Hoffnung darauf aus der Welt geschafft. Wir haben jedoch keineswegs die Beweggründe unterdrückt, die in früheren Zeiten die Liebe zum Gelde hervorriefen, geschweige denn solche Triebe, die das höchste Streben, die edelsten Taten der Menschen auslösten. An die Stelle der anspornenden rohesten Beweggründe sind edlere getreten, die dem bloßen Lohnarbeitenden Ihrer Zeit gänzlich unbekannt waren. Jetzt wird der Arbeiter, wie seinerzeit der Soldat, durch die Liebe für das Vaterland und die Menschheit angefeuert, denn die Tätigkeit jeder Art ist nicht mehr Privatsache zu Nutz und Frommen des einzelnen, sondern Nationalsache zum Wohle der Allgemeinheit. Unser Heer der Arbeit ist wirklich ein Heer, nicht nur dank seiner vollkommenen Organisation, vielmehr auch dank des glühenden Gemeinsinns, der seine Glieder beseelt.
    So wie Sie die Tapferkeit Ihrer Soldaten anzuspornen pflegten, indem Sie nicht nur an ihre Vaterlandsliebe, sondern noch an ihre Ruhmbegierde appellierten, so tun auch wir das bei unseren Arbeitern. Es kann dies nicht anders sein in einer Wirtschaftsordnung, deren Grundgesetz ist, von jedem gleich viel Streben und Anstrengung zu fordern, das heißt alles, was er über haupt zu leisten vermag. Bei uns ist der Eifer im Dienste der Nation der einzige und sichere Weg, öffentliche Anerkennung, Auszeichnung und amtliche Macht zu erlangen. Der Rang, den jemand in der Gesellschaft einnimmt, wird durch den Wert seiner Leistungen für sie bestimmt. Fassen wir zum Vergleich die sozialen Einrichtungen ins Auge, die bei uns die Menschen zu eifrigster Tätigkeit anspornen, so erscheint uns die zu Ihrer Zeit übliche Art als ebenso schwach und unzuverlässig wie barbarisch. Sie rechnete nur mit der Wirkung des Anblicks drückender Armut und üppiger Pracht. Sogar zu Ihrer Zeit voll niedriger Gesinnung vermochte jedoch bekanntlich der Ehrgeiz die Menschen zu gewaltigeren Leistungen anzuspornen als die Gier nach Geld.“
    „Es würde mich ungemein interessieren“, sagte ich, „etwas Näheres über diese Ihre sozialen Einrichtungen zu erfahren.“
    „Das regelnde System“, versetzte der Doktor, „ist natürlich sehr verzweigt und in allen seinen Einzelheiten wohldurchdacht. Es bildet ja die Grundlage unserer wirtschaftlichen Organisation. Aber einige Worte werden genügen, Ihnen eine allgemeine Vorstellung davon zu geben.“
    In diesem Augenblick erschien Edith auf der luftigen Plattform. Unser Gespräch wurde dadurch in der angenehmsten Weise unterbrochen. Edith Leete war zum Ausgehen angekleidet und kam, um mit ihrem Vater Rücksprache wegen einer Besorgung zu nehmen, die er ihr aufgetragen hatte.
    „Da fällt mir ein, Edith“, rief er aus, als sie sich anschickte, uns zu verlassen, „daß es Herrn West vielleicht interessieren würde, mit dir zusammen ein Warenhaus zu besuchen. Ich habe ihm manches über unsere Verteilung der Güter erzählt. Vielleicht möchte er kennenlernen, wie sie in der Praxis durchgeführt wird.“
    „Meine Tochter“, fügte er hinzu, indem er sich zu mir wendete, „durchwandert unermüdlich die Warenhäuser und kann Ihnen über sie besser Bescheid geben als ich selbst.“
    Der

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