Ein Sarg für zwei
fast zärtlich. »Von Thierry.«
Er machte
große Augen. »Ist das ein Verlobungsring? Hat er dich etwa gefragt?«
»Natürlich
nicht«, gab ich unumwunden zu. »Er ist doch noch verheiratet, erinnerst du
dich?«
Er seufzte.
»Mit dir ist heute nicht zu spaßen. Hat dir heute Morgen jemand die
Antidepressiva weggenommen?«
»Klinge ich
wirklich so mies?«
Er nickte.
»Mach dir keine Sorgen. Wir werden heute Abend unseren Spaß haben. Es wird doch
getanzt, oder?«
»Angeblich.«
Er
schüttelte traurig den Kopf. »Jetzt klingst du schon wie Thierry. Er färbt
langsam auf dich ab. Ich glaube, das ist das Problem.«
Ich zeigte
auf die Tür. »Hinaus mit dir. Wir sehen uns in einer Stunde in der Schule.«
Er ging. Ich
schloss die Tür hinter ihm.
Ich
versuchte nicht daran zu denken, dass der Rote Teufel George möglicherweise den
ganzen Weg in meine Heimatstadt gefolgt war, um herauszufinden, wo ich war. Der
Gedanke war absolut gruselig. Wer war dieser Kerl? Welche Motive hatte er
wirklich?
Und hörte
ich mich tatsächlich wie Thierry an? War ich ständig wachsam und vorsichtig?
Möglicherweise war das eine normale Nachwirkung, wenn man nur um ein Haar dem
Tod entkommen war. Man wurde wachsam und vorsichtig.
Gut. Dann
würde ich heute einen sehr wachsamen und vorsichtigen Abend mit ein bisschen
Tanzen und ein paar alten Freunden verbringen. Eventuell sogar mit ein bisschen
Bowle.
Mit etwas
Glück war das glitzernde rote Kleid von Amy das Aufregendste an diesem Abend,
und es würde somit mein sehnlichster Wunsch in Erfüllung gehen, dass ich mich
normal und glücklich fühlte.
Ein Mädchen
darf ja schließlich das Beste hoffen, hm?
6
Das
Schultreffen fand im Gymnasium von Abottsville statt. Ich musste zugeben, dass
es Missy und ihrer Truppe hervorragend gelungen war, den Anlass wirklich
märchenhaft zu zelebrieren. Auf der Tanzfläche glitzerten bunte Lichter, und
die Wände waren wie die Mauern einer alten Burg gestaltet.
Das letzte
Mal war ich zu meinem Abschlussball hier gewesen. Ich hatte den schwarzen
Spitzhut mit den Bändern vor Freude so hoch in die Luft geschleudert, dass er
erst wieder landete, als ich schon zum Studium nach Toronto gegangen war, um
mein Glück in der Großstadt zu suchen.
Es war kurz
nach acht, als wir an der Schule eintrafen. Die Veranstaltung sollte bis
Mitternacht dauern. Vier Stunden dürften genügen, um ausgiebig in Erinnerungen
zu schwelgen, insbesondere da ich mir nun doch große Sorgen wegen der Motive
des Roten Teufels machte. Ich versuchte, mich zu entspannen und so zu tun, als
wäre alles normal, aber das fiel mir nicht ganz leicht. Das rote Kleid, das Amy
mir geliehen hatte, war erheblich kürzer, als ich gedacht hatte, und der tiefe
Ausschnitt verdeckte kaum die ziemlich juckende Stichwunde auf meiner Brust.
Erst nachdem ich mein Namensschild daneben befestigt hatte, war es ein bisschen
besser.
»Was macht
George denn hier?«, erkundigte sich Thierry.
Ich blickte
auf die Tanzfläche, wo George mir zuwinkte.
»Ach, habe
ich dir das gar nicht erzählt? Er hat gefragt, ob er mitkommen könnte, und da
habe ich ja gesagt. Ich glaube, er fühlt sich ein bisschen einsam.«
Thierry war,
jedenfalls für seine Verhältnisse, so gut gelaunt, dass ich dem Abend keinen
Dämpfer versetzen wollte, indem ich ihm verriet, dass der Rote Teufel nach wie
vor an meinem Wohlergehen interessiert war.
Vielleicht
war es ja noch etwas früh, jedenfalls waren längst nicht so viele Leute da, wie
ich erwartet hatte. Und unter den Anwesenden konnte ich auf den ersten Blick
niemanden entdecken, den ich kannte.
»Sarah?«,
hörte ich jemanden hinter mir sagen. »O mein Gott! Sarah Dearly! Das glaube ich
ja nicht!«
Ich drehte
mich um. Endlich jemand, den ich wiedererkannte. Ich lächelte die attraktive
Frau mit den dunkelroten Haaren und dem schwarzen Etuikleid an, das wie
angegossen auf ihrem durchtrainierten Körper klebte. »Claire!« Ich umarmte sie.
»Wie schön, dich zu sehen.«
Sie strahlte
mich mit einem breiten Lachen an, das ich leider nicht erwidern konnte. Ich
hatte so zu lächeln geübt, dass man meine Reißzähne nicht sah, also etwa so
zurückhaltend wie die Mona Lisa lächelte.
»Ich habe
mich schon gefragt, ob du es wohl zum Treffen schaffen würdest«, sagte sie.
»Kannst du dir vorstellen, dass unser Abschlussball bereits zehn Jahre her
ist?«
»Nein, kann
ich nicht.« Ich blickte suchend auf die Tanzfläche. »Wo stecken denn alle?«
Sie zuckte
mit den
Weitere Kostenlose Bücher