Ein Sarg für zwei
Blick.
»Ich
wünschte, du hättest mir gestern Abend von dieser Frist erzählt«, sagte Thierry
ruhig.
»Warum?« Ich
blickte auf die Uhr über der Bar. »Es ist sieben Uhr morgens. Wir haben noch
den ganzen Tag, um herauszufinden, wo sich diese Schlampe versteckt hält.«
Er
schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid, Sarah, aber es ist nicht Morgen. Du hast
die ganze Nacht und den ganzen Tag durchgeschlafen. Nachtwandler schlafen häufig am Tag. Sie leben erst in der Dunkelheit auf«, erklärte er
vorsichtig.
Ich
schluckte heftig. »Du machst Witze.«
»Ich
wünschte, das wäre so.« Er wirkte angespannt. »Aber trotzdem bleibt uns noch
genügend Zeit.«
»Wieso hast
du mich nicht geweckt?«
»Ich wollte
dich nicht stören. Ich wusste ja nicht, dass wir ein Zeitproblem haben.«
Ich stand
wie unter Schock. Dass mein Herz jede zweite Minute aussetzte, war ein bisschen
- sehr - irritierend, um es gelinde auszudrücken. Es wirkte wie ein Gong, der
mir anzeigte, dass mein Leben gerade auf dem Weg war, über eine verdammt kurze
Brücke in einem Meer voller Mist zu verschwinden.
Ich
schniefte und putzte mir mit dem Handrücken die Nase. »Ich glaube, ich bin
jetzt allmählich wieder auf Raumtemperatur.« Ich blinzelte ein paar Mal und sah
Thierry an. »Glaubst du wirklich, dass alles wieder gut wird?«
Er nickte.
»Ich habe keinen Zweifel daran.«
»Du hast
immer noch nicht herausgefunden, wo Stacy sich versteckt, oder?«
»Nein. Meine
Informanten sind überall in Sackgassen geraten, wo immer sie es auch versucht
haben. Vermutlich setzt sie irgendwie ihre Zauberkräfte ein, um ihren
Aufenthaltsort zu verbergen. Offenbar zieht sie es vor, die Zügel in der Hand
zu behalten.«
»Hat sie
angerufen?«, fragte ich hoffnungsvoll.
»Noch
nicht.«
Ich lief zur
Bar und wieder zurück. »Weißt du, dass sie eine Mörderin ist? Das hat sie mir
erzählt. Sie hat die Leute nicht eigenhändig umgebracht, aber sie hat sie mit
Flüchen belegt, die zu ihrem Tod geführt haben. Ich denke, das hat sie auch mit
mir vor.« Ich fröstelte und atmete langsam aus. Komisch, dass ich immer noch
atmen musste, obwohl mein Herz nicht mehr schlug. Hing das nicht alles
miteinander zusammen? Ich war zwar nur mittelmäßig in Biologie gewesen, aber
manche Dinge sind ganz offensichtlich nicht natürlich.
»Das werde
ich nicht zulassen.« Thierrys Stimme klang merkwürdig angespannt. Er holte tief
Luft. »Ich hätte da einen Vorschlag.«
»Welchen?«
»Wir müssen
deine Freundin, die andere Hexe von dem Schultreffen, anrufen und sie herholen.
Vielleicht kann sie uns helfen, Stacy zu suchen. Wenn wir sie dann gefunden
haben, statten wir ihr persönlich einen Besuch ab.«
Natürlich!
Ich nickte, holte rasch meine Tasche, die sich derzeit hinter der Bar
niedergelassen hatte, und fand glücklicherweise die Nummer, die Claire mir
gegeben hatte. Ohne ein weiteres Wort lief ich zum Telefon und wählte.
Nach dem
sechsten Klingeln hob Claire ab. Mein Herz pochte vor lauter Freude. Ein Mal.
Ich erklärte
ihr schnell die Situation und beschrieb ihr, wie sie zum Haven kam.
»Natürlich
komme ich, Sarah«, erwiderte Claire. »Wie aufregend! Ich werde einen Suchspruch
benutzen. Wir finden sie. Ich bin in ungefähr zwei Stunden bei euch, okay?«
Wenn ich
auch ihre Einschätzung nicht teilte, dass diese Situation »aufregend« war, war
ich doch dankbar für ihre Bereitschaft, herzukommen und mir bei meinem
»aufregenden« Problem zu helfen.
Ich legte
den Hörer auf die Gabel und fühlte mich zu neunzig Prozent hoffnungslos und zu
zehn Prozent hoffnungsvoll, aber dieser Teil gewann alles in allem wieder an
Stärke. Die Hoffnung war ein erstaunlich widerstandsfähiges Gefühl.
George kam
zu mir und tätschelte mir den Rücken. »Ich habe heute dein Horoskop gelesen.
Wusstest du, dass Skorpione zu einem aufregenden Leben voller Dramatik neigen?
Offensichtlich ist das alles ziemlich normal. Ich glaube, Merkur ist auch
gerade retrograd oder so etwas Ähnliches. Ich weiß allerdings nicht so genau,
was das bedeutet.«
Ich seufzte.
»Ich glaube, mein Merkur ist schon so lange retrograd, dass er noch Schlaghosen
trägt.«
Er breitete
die Arme aus. »Möchte da vielleicht jemand in den Arm genommen werden?«
Ich musterte
ihn vorsichtig. »Seit wann neigst du plötzlich zu Gefühlsduseleien?«
»Seit meine
letzte Beziehung in die Binsen gegangen ist. Ich bin neuerdings total
bedürftig. Tu mir den Gefallen.«
Ich blickte
zu Thierry, schüttelte den Kopf
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