Ein Schöner Ort Zum Sterben
glatt wie Seide und von der Berührung zahlloser Finger poliert. Dieses schöne alte Stück war, wenn sie sich nicht gründlich täuschte, wenigstens hundert Jahre alt. Vielleicht sogar noch älter. Wahrscheinlich war es die Arbeit eines einheimischen Schreiners, die ihr ganzes Leben lang in der Küche des Silver Bells gestanden hatte, damals noch ein Rasthof an einer einsamen Landstraße. Und jetzt wollte dieser Terry Reeves den Schrank tatsächlich zerhacken und verbrennen! Meredith war ehrlich schockiert, und dann meldete sich ihr Gewissen. Sie sollte zurückgehen und wenigstens versuchen, Daphne zu erklären, dass das, was sie da so freimütig verschenken wollte, nach der Restauration eine hübsche Summe Geldes wert war. Selbst im gegenwärtigen Zustand würden die Augen eines jeden Antiquitätenhändlers beim Anblick des Schranks zu leuchten anfangen. Doch Terry und Daphne waren viel zu beschäftigt mit der Überschwemmung im Keller und dem daraus resultierenden Verlust an Umsatz, als dass Meredith sie jetzt mit einem in ihren Augen wertlosen Stück Plunder hätte belästigen dürfen. Genauso wenig, wie das Alter des Schranks sie beeindrucken würde, im Gegenteil. So, wie die beiden dachten, sprach gerade das Alter gegen seinen Wert. Andererseits, falls Meredith mit dem Abholen wartete, bis das Geschäft im Silver Bells wieder in seinen gewohnten Bahnen verlief, würde sie vielleicht zurückkehren und feststellen, dass Terry Reeves den Schrank inzwischen den Flammen übergeben hatte. Am sichersten war es, wenn sie ihn so schnell wie möglich abtransportierte und später noch einmal zurückkam, um den Reeves erneut Geld anzubieten. Meredith ging nach Hause und fragte Mrs. Pride, ob Dean so schnell wie möglich zum Silver Bells fahren und den Schrank holen könnte.
»Ich sag ihm, dass er sich sofort auf den Weg macht«, versprach ihr Mrs. Pride.
Sie hielt ihr Wort. Noch am gleichen Abend klingelte es an Merediths Tür. Sie öffnete, und vor ihr stand ein großer junger Mann in Jeans und – trotz des nasskalten Wetters – ärmellosem T-Shirt. Hellblondes Haar reichte ihm bis zu den Schultern, und die nackten Arme waren von Tätowierungen bedeckt.
»Hallo«, sagte er munter.
»Ich hab einen Küchenschrank für Sie.« Er deutete mit dem Daumen über die Schulter auf einen heruntergekommenen weißen Lieferwagen, der unter der Straßenlaterne geparkt stand. Eine zweite zottige, muskulöse Gestalt stand an den Wagen gelehnt und wartete.
»Einen walisischen Küchenschrank?«, fragte sie aufgeregt, in der Hoffnung, dass er nicht den falschen erwischt hatte.
»Genau. Eines von diesen Dingern mit vier Beinen, Regalen oben und Schubladen unten. Hab ihn im Pub abgeholt, weil Tante Doris gesagt hat, es wäre dringend. Sollen wir ihn reintragen?«
»Oh, bitte! Sie haben, äh, Hilfe?«
»Sicher. Hab meinen Freund dabei.« Deans Freund löste sich vom Wagen. Der Schrank wurde ausgeladen und unter einigen Schwierigkeiten durch Merediths engen Flur in die Küche manövriert. In der Scheune hatte er recht klein ausgesehen. In Merediths winziger Küche wirkte er prächtig groß. Der wenige noch übrige freie Platz wurde von Dean und seinem Freund ausgefüllt, der mit verschränkten Armen dastand und das neue Möbelstück in Augenschein nahm.
»Er muss ein wenig sauber gemacht werden«, sagte Deans Freund, dessen Handgelenke wie die eines römischen Gladiators mit nagelbesetzten Lederbändern verziert waren.
»Diesen ganzen Mist hier müssen Sie runterholen. Und Sie dürfen ihn nicht in der Nähe der Heizung aufstellen, sonst reißt das Holz der Länge nach ein.« Der Bursche wirkte nicht gerade ermutigend!
»Ich werde es mir merken«, versprach Meredith.
»Außerdem habe ich keine Heizung.«
»Ich auch nicht«, sagte Deans Freund Jeremiah.
»Haben Sie den Reeves eigentlich Bescheid gesagt, dass Sie den Schrank holen?«
»Nein. Sie waren unten im Keller zugange. Es gab eine Überschwemmung im Bells«, sagte Dean.
»Ein absolutes Chaos. Wir sind hintenrum gegangen und haben den alten Schrank einfach aufgeladen.«
»Nun, ich denke, das geht in Ordnung …« Sie drückte den beiden ein hübsches Trinkgeld in die gewaltigen Pranken, bedankte sich und begleitete sie hinaus. Wieder zurück in der Küche, wurde ihr klar, dass sie sich auf einiges eingelassen hatte. Der Schrank war von oben bis unten verschmutzt. Jede Oberfläche vom Schmutz und dem angesammelten Fett wenigstens eines Jahrhunderts zu befreien, bedeutete
Weitere Kostenlose Bücher