Ein Schöner Ort Zum Sterben
deutete wieder zum Fenster hinaus, auf das ferne Mausoleum.
»Bis hin zu meinem Großvater wurden alle Devaux dort beigesetzt.« Meredith konnte Alan berichten, was Adeline über die Lichter erzählt hatte, doch weitere Fragen waren im Augenblick wohl eher nutzlos. Außerdem konnte Adelines Aussage kaum als zuverlässig betrachtet werden. Sie schien von diesem Mausoleum besessen zu sein.
»Ist es nicht ein ziemlich kleines Bauwerk?«, fragte Meredith.
»Um Platz für all die Toten zu bieten, meine ich?«
»Oh, sie liegen nicht alle oberirdisch in der Kapelle. Es gibt ein Gewölbe darunter, in dem die Särge stehen. Nur ein paar, die berühmteren Familienmitglieder, ruhen in Sarkophagen oben in der Kapelle. Zur Zeit meines Großvaters war allerdings auch das Gewölbe bereits fast voll, und es gab eine starke Geruchsentwicklung. Man hat die Angelegenheit untersucht und herausgefunden, dass einige der ältesten Särge beschädigt waren. Sie bestehen aus Blei, einem sehr weichen Metall. In anderen, noch dichten Särgen hatten sich Körperflüssigkeiten gesammelt. Wussten Sie, dass bei der Zersetzung einer Leiche Alkohol entsteht? Unter günstigen Umständen kann ein Toter auf diese Weise vollständig erhalten bleiben. Man öffnete den Sarg meines Urgroßvaters, weil mein Großvater wissen wollte, was mit dem Leichnam geschehen war. Sie fanden ihn konserviert, mitsamt seinem Totenhemd. Und ob Sie es glauben oder nicht, mit seinem falschen Gebiss. Mein Großvater hat erzählt, sein Vater hätte noch immer beeindruckend ausgesehen, wie im Leben.« Meredith erschauerte, doch Adeline schienen die grässlichen Details nichts auszumachen. Nüchtern fuhr sie fort:
»Man hat den geöffneten Sarg wieder versiegelt, und dann ließ mein Großvater das Gewölbe zuschütten. Sie kippten Schutt hinein, bis unter die Decke, und der Eingang wurde zubetoniert. Die Devaux sind trotzdem noch da, unter all den Steinen und dem Geröll. All die Särge mitsamt Inhalt stehen noch immer dort.« Adeline wandte sich zu Meredith um und betrachtete sie aus wilden, glitzernden Augen.
»Auch ich sollte eines Tages dort beigesetzt werden, denn ich bin die letzte echte Devaux. Und Katie, weil sie meine Tochter ist, muss dort liegen, in der Kapelle. Aber Matthew, mein Ehemann, weigert sich, sie dort zu beerdigen!«
»Ich kann verstehen, wie Sie sich fühlen«, sagte Meredith vorsichtig.
»Aber vielleicht wäre es besser …« Adeline schnitt ihr mit einer Handbewegung das Wort ab.
»Sie verstehen gar nichts! Wie könnten Sie auch? Matthew versteht es nicht, nicht einmal Prue versteht es. Niemand kann es verstehen. Die Devaux sind das Park House. Man kann uns nicht trennen! Ein paar von uns, wie mein Urgroßvater, verwesen nicht einmal! Wir bleiben hier, für immer und ewig!« Eine lange Pause entstand. Dann fuhr Adeline fort:
»Die Polizei war dort drüben. Matthew hat gesagt, Vandalen wären in die Kapelle eingebrochen. Aber ich glaube, er belügt mich. Er belügt mich andauernd, wissen Sie?« Offensichtlich wusste sie nichts von dem Verdacht, dass Lynne Wills in diesem Mausoleum ermordet worden war. Conway hatte es für zu gefährlich gehalten, ihr davon zu erzählen. Trotz all ihres morbiden, temperamentvollen Interesses, wenn es um die Vergangenheit ihrer Familie ging, ließ Adeline die Geschehnisse der Gegenwart und das wirkliche, reale Leben nicht an sich heran. Sie hatte sich eine eigene Welt gestrickt, und das Muster war die Familientradition. Selbst Katies Tod hatte sie mit hineingewoben – wahrscheinlich war es die einzige Art, wie sie das tragische Ereignis verarbeiten konnte. Solange Katie nur eine Devaux blieb und – wenn es nach Adeline ging – in der Familiengruft beigesetzt wurde, blieb das Muster erhalten. Doch wenn das Muster zerbrach – was dann? Das Problem, das die Unterhaltung mit Adeline betraf – ganz abgesehen von den überraschenden Wendungen und Fallen –, bestand darin, dass Meredith nicht wusste, welche Fakten ihr bekannt waren, welche man ihr vorenthalten und welche Geschichten man ihr erzählt hatte, um ihre Neugier zu befriedigen. Berücksichtigte man außerdem die Tatsache, dass Adeline offensichtlich ein tiefes Misstrauen gegen ihren Mann hegte, ob nun aus berechtigten oder eingebildeten Gründen, war dieses ganze Treffen ein einziges Minenfeld. Meredith beschloss, die Geschichte von den Vandalen aufzugreifen. Sie bot sogar ein paar nützliche Argumente.
»Orte wie Ihre Familiengruft ziehen nun einmal
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