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Ein schottischer Sommer: Roman (German Edition)

Ein schottischer Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein schottischer Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maryla Krüger
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nahm kein Ende. Mehr als einmal hatte ich das Gefühl, wir würden im Kreis laufen. Und als wir plötzlich, nach gefühlten zehn Stunden, vor einer weiteren Holztür standen, war ich kurz davor zusammenzubrechen, weil ich fest davon überzeugt war, dass sich hinter dieser Tür der nächste Weg ins Nichts befand. Doch allen Geistern sei Dank, lag ich falsch.
    Der Ausgang befand sich inmitten von Caitlin Gardens, an der Südwand der alten Kapelle, verborgen hinter dichtem Efeu. Ich riss die Ranken mit bloßen Händen durch, stolperte ins Freie, fiel auf die Knie und fing hemmungslos an zu weinen.
    Ryan nahm mich fest in den Arm und murmelte Worte in mein Haar, die ich zuerst nicht verstand, doch als sich der Nebel meiner Panik etwas löste, konnte ich ihnen folgen. Der schottische Singsang in den beruhigenden Worten glättete die Wogen in mir.
    Schniefend setzte ich mich zurück, hielt Ryans Hand aber noch immer fest wie eine Rettungsleine. Nach einer Weile konnte ich freier atmen, und mein Herzschlag hatte sich etwas verlangsamt. Hoch über uns schwangen die Baumkronen vor dem fast lila schimmernden Himmel sanft hin und her, und ihr Rauschen im Wind legte sich wohltuend auf meine Seele.
    „Sieh mal!“, sagte ich endlich. „Es wird schon Abend. Wie lange waren wir weg?“
    „Ein paar Stunden, schätze ich.“ Ryan blickte auf seine Uhr. „Die anderen werden sich Sorgen machen. Wie sieht’s aus? Kannst du laufen?“
    „Ja, ich denke schon. Oh Gott! Tut das gut, den Himmel zu sehen.“ Ich schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch.
    Die Vögel in den Bäumen begleiteten uns auf dem Weg zurück zur Burg mit ihrem abendlichen Gesang. Ein sanfter, kühler Wind strich über meine Haut und ließ mich wohlig erschauern. Aber und abermals blickte ich nach oben. Nie wieder würde ich den freien Himmel als etwas Selbstverständliches hinnehmen. Nie wieder, das schwor ich mir.
    Ryan lief seit einer Weile wortlos neben mir her. In seinem Haar hingen Spinnweben und Staub, auch sein Gesicht war von einer Staubschicht überzogen. Sein Aussehen erinnerte mich an den Tag, als wir uns im Vorzimmer von Professor Sutherland das erste Mal sahen. Wie lange war das her? Jahre, so kam es mir vor.
    Meine Hände hatten blutige Striemen vom Efeu, und bei einem Griff in mein Haar hatte ich das Gefühl, sie würden beim kleinsten Druck wie Strohhalme brechen.
    Ryan nahm meine linke Hand, betrachtete sie und strich vorsichtig über meine Schrammen. „Ailsa hat eine prima Salbe“, meinte er. „Sie stinkt zwar ein bisschen, aber sie wirkt Wunder.“
    „Sie kann nicht mehr stinken als das Zeug, das sie mir auf den Sonnenbrand geschmiert hat, glaub mir.“
    „Hat es sehr weh getan?“, fragte er leise.
    „Und wie! Es fühlte sich an, als ob meine Haut abgeschält wird.“
    „Es tut mir leid, Jo!“
    Ich hob überrascht den Kopf. „Was denn?“
    „Dass ich dir noch mehr Schmerzen bereitet habe.“
    „Du? Das war der Efeu. Schon vergessen?“ 
    „Nein, das meine ich nicht. An dem Morgen, nachdem Marlin und du – du weißt schon. Ich habe gesehen, dass ich dir weh tue, aber ich konnte nicht aufhören.“
    Ich erinnerte mich noch gut an den Druck seiner Hände auf meinem verbrannten Leib, an das Laken, das die Hitze nicht verbergen konnte – und an den Ausdruck in seinen Augen. 
    „Ryan, ich glaube, dir hat es ebenso Schmerzen bereitet wie mir. Also lass es uns vergessen, ja?“
    Er blieb stehen, nahm meine Hand und küsste sanft die Innenfläche. Dann hob er den Kopf und sah mir tief in die Augen. „Ich werde dir nie wieder weh tun – das schwöre ich.“
    Der Kloß in meinem Hals war so groß, dass ich kaum Luft bekam. Ich schluckte dagegen an und nickte.
    Alles, was Beine hatte, hatte sich auf dem Vorhof von Caitlin Castle versammelt. Selbst die Hunde waren bereit für den Aufbruch und zogen nervös an ihren Leinen. Rupert schien gerade letzte Anweisungen zu erteilen, als Marlin sich umdrehte und den Kopf in unsere Richtung hob.
    „Jo!“, rief er und lief uns entgegen. „Jo! Geht es dir gut? Was hast du mit ihr gemacht! Bist du wahnsinnig?“, brüllte er Ryan an und zog mich in seine Arme.
    „Es tut mir leid“, murmelte Ryan nur und ließ uns stehen, ging auf die Burgpforte zu und wich allen Händen, Ratschlägen und Fragen aus. Nach ein paar Metern hielt er an und blickte zu mir zurück. Ich sah ein kleines Lächeln in seinem Gesicht. Dann verschwand er, flankiert von Lucas und Finn, in der

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