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Ein sicheres Haus

Titel: Ein sicheres Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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beiläufig mit ihr, wie man mit einem Patienten redet, der im tiefen Koma liegt und bei dem man nicht weiß, ob er es vielleicht doch hört. Hier ist Kaffee. Gib auf deine Hände acht. Ein schöner Tag. Rück mal ein Stückchen. Was schaust du dir an? Die gelegentlichen Fragen entschlüpften mir versehentlich und provozierten peinliche Stille. Ich war verlegen und wütend auf mich selbst, weil ich verlegen war. Ich fühlte mich beruflich und persönlich verunsichert. Dies war eigentlich mein Fachgebiet, und mein Verhalten war absurd und auch ineffizient. Aber es war die Situation selbst, die verheerend war, nicht mein Benehmen in der Situation. Daß ich eine schwer traumatisierte Frau in mein Haus und sozusagen in den Kontext meiner eigenen Familie aufgenommen hatte, widersprach jeglichem normalen Verhalten.
    Und ich vermißte Danny auf eine Art, die mich überraschte.
    Als ich am Nachmittag des dritten Tages, an dem Finn nicht gesprochen hatte, zu Elsies Schule fuhr, ging ich im Kopf die Möglichkeiten durch. Ich betrat Elsies Klassenzimmer und fand sie mit einem Bild beschäftigt, das fast so groß war wie sie selbst. Sie schaute äußerst konzentriert und brachte mit einem schwarzen Stift energisch ein paar letzte Striche an. Ich kniete mich neben sie und schaute ihr über die Schulter. Ich konnte ihre weiche Haut riechen, ihr flaumiges Haar an meiner Wange spüren.
    »Das ist ein schöner Elefant«, sagte ich.
    »Das ist ein Pferd«, sagte sie entschieden.
    »Es sieht aus wie ein Elefant«, protestierte ich. »Es hat einen Rüssel.«
    »Es sieht aus wie ein Elefant«, sagte Elsie, »aber es ist ein Pferd.«
    So leicht gab ich nicht nach.
    »Ich sehe aus wie eine normale Frau. Könnte ich ein Pferd sein?«
    Elsie sah mit neu erwachtem Interesse zu mir auf.
    » Bist du eins?«
    Ich spürte einen Anflug von Reue über das, was ich diesem störrischen, flachshaarigen kleinen Kobold zumutete. Ich sollte etwas für sie tun. Ich mußte etwas tun. Jetzt gleich. Ich sah mich um.
    »Mit wem hast du gespielt, Elsie?«
    »Mit niemand.«

    »Nein, wirklich, mit wem?«
    »Mungo.«
    »Außer Mungo.«
    »Niemand.«
    »Sag mir jemanden, mit dem du gespielt hast.«
    »Penelope.«
    Ich ging zur Lehrerin, Miss Karlin, dem Traum einer Lehrerin, in langem, geblümtem Kleid, mit randloser Brille und achtlos aufgestecktem Haar, und bat sie, mir Penelope zu zeigen. Sie sagte mir, es gebe in der Klasse, ja in der ganzen Schule niemanden dieses Namens. Ob sie mir jemanden zeigen könne, mit dem Elsie gespielt oder neben dem sie länger als zwei Minuten gestanden habe. Miss Karlin zeigte auf ein Mädchen mit mausbraunem Haar namens Kirsty. Ich lungerte also wie ein Privatdetektiv an der Wand des Klassenzimmers herum, und als eine Frau sich Kirsty näherte und versuchte, sie in einen kleinen Dufflecoat zu stecken, sprach ich sie an.
    »Hallo«, sagte ich rücksichtslos, »ich bin so froh, daß Elsie –
    das ist meine kleine Tochter, da drüben auf dem Fußboden –
    und Kirsty so gute Freundinnen geworden sind.«
    »Ach ja? Ich wußte nicht …«
    »Kirsty muß unbedingt zum Spielen zu uns kommen.«
    »Na ja, vielleicht …«
    »Wie wär’s mit morgen?«
    »Ach, Kirsty ist eigentlich nicht gewöhnt …«
    »Es wird nett werden, Miss Karlin hat mir erzählt, daß sie absolut unzertrennlich sind. Linda wird beide abholen, und ich fahre Kirsty dann nach Hause. Könnten Sie mir Ihre Adresse geben? Oder möchten Sie sie lieber selbst abholen?«
    Damit war Elsies gesellschaftliches Leben geregelt. Der Rest des Tages war unbefriedigend. Nachdem wir zu Hause angekommen waren, hielt ich Elsie so weit wie möglich von Finn fern, aß allein mit ihr zu Abend und brachte sie dann nach oben in ihr Zimmer. Sie badete, und ich saß anschließend an ihrem Bett und las ihr vor.
    »Ist Fing hier?«
    »Finn.«
    »Fing.«
    »Finn.«
    »Fing.«
    »Fin-n-n-n-n.«
    »Fing-ng-ng-ng-ng.«
    Ich gab auf.
    »Ja, ist sie.«
    »Wo ist sie?«
    »Ich glaube, sie schläft«, log ich.
    »Warum?«
    »Sie ist müde.«
    »Hat sie viel Arbeit?«
    »Nein. Sie braucht bloß Ruhe.«
    Das brachte Elsie lange genug zum Schweigen, um das Thema zu wechseln.
    Am folgenden Morgen machte ich einen kläglichen Versuch, mich in mein Zimmer zurückzuziehen. Ich starrte auf den Computerbildschirm. Mit einem Doppelklicken rief ich das Schachprogramm auf. Ich konnte mir ebensogut eine schnelle Partie leisten. Ein Königsbauer eröffnete, und das Programm führte mich in eine komplizierte

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