Ein sicheres Haus
Sie. Das arme Herzchen. So ein nettes, vertrauensvolles Mädchen. Wie soll sie das jemals überwinden?«
»Monika sagt« – die Stimme hinter mir senkte sich zu einem Bühnenflüstern, so daß ich sie deutlicher als zuvor verstehen konnte –, »daß sie, nun ja, vergewaltigt wurde, wissen Sie.«
»Nein, wie schrecklich.«
Ich entfernte mich, dankbar, daß Finn das erspart geblieben war. Die Trauerarbeit konnte warten. Baird hatte gehorsam mit Mrs. Ferrer in einer Ecke gestanden, und ich sah sie zusammen in Richtung Tür gehen. Ich fing Mrs. Ferrers Blick auf, und sie kam zu mir herüber, ergriff meine Hand und murmelte etwas, das sich nach Dank anhörte. Ich versuchte ihr zu sagen, wenn ich irgend etwas für sie tun könne, wäre ich gern dazu bereit, und ich würde mir von Baird ihre Adresse geben lassen und sie besuchen. Sie nickte, aber ich war nicht sicher, ob sie mich verstanden hatte. Dann ließ sie meine Hand los und wandte sich ab.
»Wie geht es der Reinemachefrau?« sagte eine Stimme hinter mir. Es war Michael Daley.
»Sind Sie nicht ihr Arzt?«
»Sie steht in meiner Kartei. Ich habe sie aufgenommen, um den Mackenzies einen Gefallen zu tun.« Daley drehte sich um und sah ihr stirnrunzelnd nach, während sie aus dem Saal ging, ehe er sich wieder zu mir wandte. »Weiß sie, wer Sie sind?«
»Baird hat uns bekannt gemacht, aber ich glaube nicht, daß sie die Verbindung zwischen mir und Finn versteht«, sagte ich.
»Was wollte sie?«
»Hilfe, würde ich sagen, und dringende dazu. Und sie möchte Finn ein paar von ihren Sachen geben. Und sie sehen, bevor sie nach Spanien zurückgeht.«
Daley nippte nachdenklich an seinem Sherry.
»Für mich hört sich das gut an«, sagte er. »Ich würde meinen, es wäre auch gut für Finn, jemanden zu sehen, den sie kennt.«
»Ich weiß nicht, ob es ungefährlich ist, aber andererseits ist sie vielleicht ein Besuch, der nicht bedrohlich wirkt«, sagte ich.
»Das ist schon in Ordnung«, meinte er.
Es trat eine Pause ein. Halb lächelnd sagte er: »Da sind ein paar Leute, mit denen ich vielleicht reden sollte. Ich nehme Sie dann mit, wenn ich gehe.«
In einer Ecke des Raums standen zusammengedrängt die Mädchen, die ich in der Kirche bemerkt hatte. Ich ging zu ihnen hinüber, und als eine von ihnen mich ansah, trat ich in ihren Kreis.
»Sie sind sicher Freundinnen von Finn.«
Ein großes Mädchen mit dunklem, schulterlangem Haar und Sommersprossen auf der kecken Nase streckte die Hand aus und sah mich und dann ihre Freundinnen argwöhnisch an. Wer war ich?
»Nur aus der Schule«, sagte sie.
Ich hatte etwas über Finn von Leuten erfahren wollen, die sie kannten, aber jetzt fiel mir nichts ein, was ich hätte sagen können.
»Ich kannte ihren Vater. Beruflich.«
Sie nickten mir alle zu, waren aber nicht neugierig. Sie warteten darauf, daß ich weiterging.
»Wie ist Finn?« fragte ich.
»Wie sie ist?« Das kam von einem blonden Mädchen mit kurzem Haar und scharfgeschnittener Nase. »Sie ist lieb.« Sie sah sich um, Bestätigung heischend. Die Mädchen nickten.
»Sie war lieb«, sagte ein anderes Mädchen. »Ich bin im Krankenhaus gewesen, um sie zu besuchen. Man ließ mich nicht mal in ihre Nähe. Kommt mir ziemlich blöd vor.«
»Ich nehme an …«
»Können wir gehen?«
Ich fuhr herum und sah Michaels Gesicht. Er hakte einen Arm unter meinen Ellbogen und nickte den Mädchen zu. Sie erwiderten sein Lächeln in einer Weise, wie sie es bei mir nicht getan hatten.
Der Parkplatz der kleinen Pfarrkirche in Monkeness lag direkt an der Ufermauer, und wir blieben einige Minuten dort sitzen.
Ich knabberte an einem Stück Nußkuchen, das ich mir beim Hinausgehen von einem Tablett genommen hatte, und Michael zündete sich eine Zigarette an. Er brauchte mehrere Streichhölzer.
»Kam Finn gut mit ihren Eltern aus?«
Er zuckte mit den Schultern.
»Standen sie sich nahe? Haben sie gestritten? Helfen Sie mir, Michael, ich lebe mit diesem Mädchen.«
Er nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarette und machte eine hilflose Geste.
»Ich denke, sie standen sich ziemlich nahe.«
»Michael, da muß es Probleme gegeben haben. Sie kam wegen Depression und Anorexie ins Krankenhaus. Sie waren ihr Arzt.«
»Ja, das war ich«, sagte er und schaute von mir weg über das dunstige Meer. »Sie war ein Teenager, das ist für die meisten von uns eine schwierige Zeit, und so …« Er zuckte mit den Schultern und ließ seinen Satz in der Luft hängen.
»War es schlimm für Sie?
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