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Ein sicheres Haus

Titel: Ein sicheres Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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konnte.
    »Weißt du, es ist komisch. Das erste Mal habe ich dich auf irgendeinem alten Foto gesehen, rundlich und ängstlich. Und nun bist du hier, ein anderer Mensch, in Sicherheit, lebendig.«

    Ich sah Finn an. Ihre Hand zitterte so, daß sie das Messer hinlegen mußte.
    »Ich habe dieses Mädchen gehaßt. Die fette Fiona Mackenzie.
    Ich spüre keine Verbindung zu ihr. Ich habe mir ein neues Leben aufgebaut, oder ich dachte, ich hätte das getan. Aber es fällt mir schwer, das Gute zu akzeptieren. Sie und Elsie kennengelernt zu haben und all das. Manchmal denke ich, daß ich Sie und Elsie durch, Sie wissen schon, durch die kennengelernt habe. Ich weiß nicht recht, ob ich darüber reden sollte. Soll ich darüber reden?«
    Ich hatte immer wieder andere Gefühle und fürchtete, daß ich mich zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich äußerte. Wenn ich Fionas Fall mit einem Kollegen diskutiert hätte, dann hätten wir die verschiedenen therapeutischen Möglichkeiten und deren unterschiedliche und sehr umstrittene Erfolgsaussichten diskutiert. Einem oder zwei besonders vertrauten Freunden gegenüber hätte ich vielleicht angemerkt, daß wir bei der Behandlung posttraumatischer Persönlichkeitsstörungen noch im Mittelalter stecken, im Zeitalter von Aberglauben, Körpersäften, Wechselfieber und Blutungen. Finn suchte bei mir die Art von Autorität, die die Leute von Ärzten erwarten. Und ich wußte so viel über das Thema, daß ich mir nicht so sicher war wie jemand, der vielleicht weniger Ahnung hatte. Das meiste, was die Menschen über Traumata und deren Behandlung zu wissen glaubten, war falsch. Die Wahrheit scheint eher so zu sein, daß es manchen Leuten hilft, wenn sie über ihre Erfahrung sprechen können, wohingegen sich bei anderen der Zustand verschlechtert und bei wieder anderen ziemlich unverändert bleibt. Und das hören die Leute von einem Arzt nicht gern.
    Ich atmete tief ein und versuchte, so wahrheitsgetreu zu antworten, wie wir beide es ertragen konnten.
    »Ich weiß nicht, Finn. Ich wünschte, ich könnte dir eine einfache Antwort geben, durch die du dich besser fühlst, aber das kann ich nicht. Ich möchte nur, daß du weißt, daß du mir alles sagen kannst. Andererseits bin ich nicht die Polizei. Ich will von dir keine Indizien. Und ich kann es nicht oft genug sagen: Ich bin nicht deine Ärztin. Hier geht es nicht um irgendeinen Therapieplan. Aber wenn ich meinem großen und edlen Beruf für einen Augenblick untreu werden kann, dann ist das vielleicht nicht nur schlecht.« Ich griff über den Tisch und nahm Finns Hand. »Manchmal denke ich, daß es Ärzten besonders schwerfällt, Leiden zu akzeptieren. Dir ist etwas überaus Schreckliches, Unaussprechliches zugestoßen. Alles, was ich sagen kann, ist, daß der Schmerz mit der Zeit nachlassen wird. Vermutlich wird es besser, wenn die Mistkerle, die das getan haben, geschnappt worden sind. Aber wenn du besondere physische Symptome an dir feststellst, dann mußt du mit mir oder Dr. Daley reden, und er wird sich darum kümmern. In Ordnung?«
    »Wahrscheinlich.«
    »Das genügt.«
    »Sam?«
    »Ja?«
    »Ich bin im Weg, oder?«
    »Alles in meinem Leben war immer allem anderen im Weg.
    Aber ich habe entschieden, daß du eines von den guten Dingen bist, und das ist alles, was zählt.«
    »Sie müssen nicht denken, Sie müßten nett zu mir sein, Sam.
    Ich hindere Sie beispielsweise daran, Ihr Buch zu schreiben.«
    »Ich war im Nichtschreiben auch schon ganz gut, bevor du gekommen bist.«
    »Wovon handelt es?«
    »Ach, weißt du, Traumata, das, was ich mache, dieses ganze Zeug.«
    »Nein, wirklich, wovon handelt es?«
    In gespielter Ungläubigkeit kniff ich die Augen zusammen.

    Ich rief die Kellnerin und bestellte noch zwei Tassen Kaffee.
    »Gut, Finn, du hast danach gefragt. Die Grundlage des Buches ist der Status von posttraumatischen
    Persönlichkeitsveränderungen als Krankheit. Es ist immer die Frage, ob eine Pathologie, ich meine, eine spezielle Krankheit, tatsächlich schon existiert hat, bevor sie identifiziert und mit einem lateinischen Namen versehen wurde. Bobbie, ausgerechnet, hat mir einmal eine gute Frage gestellt. Sie hat gefragt, ob die Steinzeitmenschen nach einem Kampf mit einem Dinosaurier an posttraumatischen Persönlichkeitsstörungen gelitten hätten. Zuerst habe ich ihr erklärt, daß es in der Steinzeit keine Dinosaurier gab, aber ihre Frage ließ mich nicht los. Wir wissen, daß Neandertaler Knochenbrüche hatten, aber hatten sie

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