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Ein sicheres Haus

Titel: Ein sicheres Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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hören, sonst hält er dich die ganze Nacht damit wach. Jedenfalls ist das die Schönheit des Spiels.
    Des Schachspiels, meine ich. Zwei Leute sitzen sich am Brett gegenüber, alle Figuren sind sichtbar, und sie manipulieren sich gegenseitig, bluffen, locken, halten sich zum Narren. Es gibt kein Versteck. Warte eine Sekunde.« Ich griff nach einem Buch, das neben dem Brett lag, und schlug das Motto auf. »Hör dir das an: ›Auf dem Schachbrett können Lüge und Heuchelei nicht lange überleben. Die kreative Kombination deckt die Anmaßung der Lüge auf; das gnadenlose Faktum, das im Schachmatt gipfelt, stellt den Heuchler bloß.‹«
    Finn zog eine fast kokette kleine Schnute.
    »Für mich hört sich das ein bißchen angsterregend an. Ich möchte nicht bloßgestellt werden.«
    »Ich weiß«, sagte ich. »Wir brauchen unsere kleinen Selbsttäuschungen und Strategien. Im wirklichen Leben, meine ich, was immer das wirkliche Leben ist. Schach ist eine andere Welt, wo all das abgelegt wird. In der Partie, die ich dir gerade gezeigt habe, hat ein kleiner Junge einen erwachsenen Meisterspieler dazu verleitet, sich ganz offen selbst zu zerstören.
    Laß mich dir etwas zeigen. Als du heute morgen mit Elsie gesprochen hast, habe ich daran denken müssen.«
    Ich stellte die Figuren wieder auf und spielte die ersten paar Züge der Abtauschversion der Ruy-Lopez-Eröffnung.
    »Du bist Weiß. Was würdest du tun?«
    Finn dachte einen Augenblick nach.
    »Den Bauern nehmen, denke ich.«
    »Also gut. Tu es.«
    Nach wenigen erzwungenen Zügen hatte sie ihren Läufer verloren. Finn lächelte.
    »Erwischt«, sagte sie. »Wieso mußten Sie bei meiner Bibellektion für Elsie daran denken?«
    »Weil es einen Namen hat. Es heißt ›die Arche-Noah-Falle‹.«
    »Wieso denn das?«
    »Keine Ahnung. Vielleicht sieht die Linie der schwarzen Bauern, die deinen Läufer gefangen haben, wie das geneigte Dach einer Arche aus. Vielleicht ist es einfach eine sehr alte Falle. Ich wollte nur versuchen, dir zu zeigen, daß Schach kein zivilisiertes Spiel ist.« Ich merkte, daß mir ihre Aufmerksamkeit entglitt. »Wir müssen irgendwann einmal spielen. Aber nicht heute.«
    »Nein, heute bestimmt nicht«, sagte Finn entschieden. »Ich möchte Ihnen nicht ausgeliefert sein. Jedenfalls nicht mehr, als ich es schon bin. Noch Tee?«
    »Ich möchte Schach spielen.«
    Das war Elsie, die ihre Zeichnung beendet oder aufgegeben hatte.

    »Schach«, sagte ich. »In Ordnung. Wie nennt man diese Figur?«
    »Weiß nicht.«
    »Wie können Sie sich all diese Züge merken?« fragte Finn.
    »Weil sie mich interessieren.«
    »Mein Gedächtnis ist vollkommen unbrauchbar.«
    »Das bezweifle ich. Ich will dir etwas zeigen. Such dir sieben oder acht Gegenstände hier im Raum aus und sag uns, welche es sind.«
    Nachdem Finn das getan hatte, schickten wir sie für ein paar Minuten aus dem Zimmer und riefen sie dann wieder herein. Sie hockte sich zu Elsie und mir auf den Fußboden.
    »Also, Elsie, was war es?«
    Elsie schloß die Augen und runzelte die Stirn und ihre kleine, runde Nase.
    »Es war eine Schachfigur … und eine Tasse … und eine Lampe … und ein Bild von einem Schaf und ein rosa Filzschreiber und ein gelber Filzschreiber … und Fings Schuhe und Mummys Uhr.«
    »Großartig«, sagte ich.
    »Das ist sehr gut für eine Fünfjährige, nicht?« sagte Finn.
    »Wie macht sie das?«
    »Sie übt«, sagte ich. »Vor Jahrhunderten war die Erinnerung an Dinge eine Kunst, die die Leute gelernt haben. Man macht das, indem man ein Gebäude im Kopf hat und Dinge an verschiedene Orte in diesem Gebäude bringt, und wenn man sich an sie erinnern möchte, geht man in das Gebäude – mit dem geistigen Auge – und holt sich die Gegenstände wieder heraus.«
    »Was hast du, Elsie?« fragte Finn.
    »Ich hab mein besonderes Haus«, sagte Elsie.
    »Und wo war die Schachfigur?«

    »An der Haustür.«
    »Und wo war die Tasse?«
    »Auf der Fußmatte.«
    »Wie ist jemand auf so was gekommen?« fragte Finn.
    »Darüber gibt es eine alte Geschichte«, sagte ich. »Eine Art Mythos. Im alten Griechenland hat einmal ein Dichter bei einem Festmahl rezitiert. Vor dem Ende des Fests wurde er abgerufen, und ein paar Minuten später stürzte die Festhalle ein, und alle kamen um. Die Leichen waren so entstellt, daß die nächsten Angehörigen sie nicht für die Bestattung identifizieren konnten.
    Aber der Dichter konnte sich erinnern, wo jeder gesessen hatte.
    Er erinnerte sich an alle Gäste, weil er

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