Ein sicheres Haus
die Lippen. Danny hatte neben ihr Platz genommen und legte sein bestes Benehmen an den Tag, war aber ziemlich zurückhaltend, wie ich fand. Auf der anderen Seite saß Michael Daley, bemüht lebhaft und eifrig darauf bedacht, alle zu bezaubern. Er war mit einem großen Strauß gelber Rosen (für mich), Anemonen (für Finn, die sie an sich drückte wie eine scheue Braut), Wein und festem Händedruck erschienen. Er hörte meiner Mutter aufmerksam zu, als sie über den schrecklichen Vormittag sprach, den sie hinter sich hatte, ließ sich von meinem Vater respektvoll die Route schildern, die sie genommen hatten, um mich zu besuchen, lud sich die kichernde Elsie auf die Schultern, beugte sich tröstend zu Finn, wann immer er mit ihr sprach, wobei ihm das dunkelblonde Haar über die Augen fiel.
Er raspelte kein Süßholz, sondern war auf angenehme Weise bemüht zu gefallen. Er drehte sich auf seinem Stuhl wie ein Wetterhahn, wandte sich bei jeder Bemerkung dem Sprecher zu.
Er reichte Gemüse herum, sprang auf, um Finn in der Küche zu helfen. Er war voll seltsam nervöser Energie. Plötzlich schoß mir der Gedanke durch den Kopf, ob er womöglich im Begriff war, sich in Finn zu verlieben, und dann fragte ich mich, ob er vielleicht in mich verliebt war, und falls ja, was ich davon hielte.
Ich sah mir die beiden Männer rechts und links von Finn an; der eine dunkel, mürrisch und hinreißend, der andere heller, rätselhafter. Und bei jedem Bissen, den sie fleißig kaute, konnte ich sehen, welcher von beiden meiner Mutter gefiel. Zwischen den Männern herrschte eine eigenartige Spannung; sie konkurrierten miteinander, wußten aber nicht so genau, worum.
Danny faltete unaufhörlich Papierfiguren, indem er Stückchen von seiner Papierserviette in Blumen und Boote verwandelte.
Als wir bei den Backäpfeln angelangt waren (mit Rosinen und Honig gefüllt von Elsie, die sich jetzt in ihr Zimmer zurückgezogen hatte, angeblich, um ein Bild zu malen) sagte meine Mutter mit ihrer interessiertesten Stimme:
»Und wie geht die Arbeit voran, Samantha?«
Ich murmelte etwas von Wartezeit, und das Gespräch wäre versickert (tatsächlich sah ich, daß Michael sich gerader hinsetzte und darauf wartete, galant das Schweigen zu brechen, das sich auszubreiten drohte), als mein Vater sich förmlich räusperte und seine Serviette beiseite legte. Alle Blicke richteten sich auf ihn.
»Als ich in Japan in Gefangenschaft war«, begann er, und mir sank das Herz; das hatte ich schon öfter gehört, »habe ich viele Männer sterben sehen. Sie wurden dahingerafft wie die Fliegen.« Er machte eine Pause, und wir warteten mit dem automatischen Respekt von Leuten, die vor einer Tragödie den Kopf neigen. »Ich sah mehr, als irgendeiner von euch jemals sehen wird; und mehr, da bin ich sicher, als irgendeiner deiner kostbaren Patienten sieht.«
Ich schaute Finn an, aber sie hielt den Kopf gesenkt und schob mit der Gabel eine Rosine auf ihrem Teller herum.
»Dann kam ich wieder nach Hause und machte einfach weiter.
Ich erinnere mich noch an alles.« Er legte die Hand auf den Tweed über seiner Brust. »Aber ich schob es beiseite. Das ganze Gerede über Traumata und Streß und Opfer, weißt du, das tut nicht gut, das reißt nur alte Wunden auf. Am besten läßt man die Dinge ruhen. Ich zweifle nicht an deinen Motiven, Samantha.
Aber ihr jungen Leute denkt, ihr hättet ein Recht auf Glück.
Dabei muß man seine Erfahrungen einfach aushalten. Trauma!«
Er nahm sein Weinglas und trank einen Schluck; seine Augen sahen über den Rand des Glases. Meine Mutter wirkte ängstlich.
»Nun ja …«, begann Michael in verständnisvollem Ton.
»Dad …«, fing ich in einem jammernden Tonfall an, den ich als den Tonfall meiner Kindheit erkannte.
Aber Finns Stimme, weich und klar, setzte sich durch.
»Soweit ich das verstehe, Mr. Laschen, ist Trauma ein Wort, das zu häufig benutzt wird. Die Leute verwenden es, wenn sie einfach Kummer oder Schock oder Trauer meinen. Ein wirkliches Trauma ist etwas anderes. Das überwinden die Menschen nicht einfach so. Sie brauchen Hilfe.« Einen Moment lang traf mich ihr Blick, und ich lächelte ihr zu. Es war merkwürdig still im Raum.
»Manche Leute, die traumatisiert sind, empfinden das Leben buchstäblich als unerträglich. Sie sind keine schwachen Feiglinge oder Narren; sie sind einfach verletzt, und man muß sie heilen.
Ärzte heilen unsere körperlichen Wunden, aber manchmal kann man die Wunden nicht sehen. Sie sind
Weitere Kostenlose Bücher