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Ein sicheres Haus

Titel: Ein sicheres Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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aber trotzdem da. Nur, weil Sie gelitten und sich nicht beklagt haben, glauben Sie, andere Menschen sollten auch leiden?« Niemand sprach. »Ich glaube, daß Sam den Menschen sehr hilft. Sie rettet Menschen.
    Wissen Sie, es geht nicht um Glück, es geht darum, überhaupt leben zu können.«
    Michael beugte sich zu ihr und nahm ihr die Gabel aus der Hand, die sie noch immer auf dem Teller herumschob. Er legte ihr einen Arm um die Schultern, und sie lehnte sich dankbar an ihn.
    »Finn und ich werden jetzt Kaffee für alle machen«, sagte er und führte sie aus dem Zimmer.
    Meine Mutter stapelte geräuschvoll unsere Dessertteller aufeinander.
    »Mädchen im Teenageralter reagieren immer sehr heftig«, sagte sie verständnisvoll.
    Ich schaute zu meinem Vater hinüber.
    »Weißt du, was das Problem ist?« sagte er.
    »Nein«, sagte ich.
    »Deine Tür klemmt. Ich wette, es liegt an den Angeln. Ich sehe sie mir später an. Hast du Kohlepapier?«
    »Kohlepapier? Wozu brauchst du das?«
    »Man breitet es unter dem Türsturz aus, um zu sehen, wo die Reibung ist. Dazu gibt es nichts Besseres als Kohlepapier.«

    19. KAPITEL
    Einmal, als ich ungefähr zehn war, fuhren wir in den Sommerferien nach Files Bay oben an der Ostküste. Ich war nie wieder dort, und alles, woran ich mich erinnere, sind Sanddünen und ein heftiger, schmutziger Wind – wie er abends am Ufer entlangfegte, die Dosen klappern ließ, die auf den Gehsteigen lagen, und kratzige Pflanzenreste in die Luft wirbelte wie kleine, zerfledderte Drachen. Und ich weiß auch noch, daß mein Vater in einem Tretboot mit mir hinausfuhr. Meine Beine reichten kaum bis zu den Pedalen, und ich mußte auf dem Sitz ganz nach vorn rutschen, während er sich zurücklehnte und seine Beine –
    mager und glänzend weiß in den ungewohnten Shorts – fleißig strampelten. Ich schaute ins Wasser hinunter und konnte auf einmal den Grund nicht mehr sehen, nur ein bodenloses Graubraun. Als sei es gestern gewesen, kann ich mich an die Panik erinnern, die bis in die hintersten Winkel meines Bewußtseins drang. Ich schrie und schrie, klammerte mich an den Arm meines verwirrten Vaters, so daß meine Mutter, die am Ufer wartete, dachte, irgend etwas Schreckliches sei passiert, obwohl unser kleines rotes Tretboot ungefährdet nur ein paar Meter entfernt auf dem Wasser dümpelte. Wenn es um Wasser geht, fühle ich mich niemals sicher; ich kann zwar schwimmen, vermeide es aber nach Möglichkeit. Wenn ich mit Elsie ins Schwimmbad gehe, bleibe ich da, wo es nur knietief ist, und sehe zu, wie sie herumplanscht. Das Meer ist für mich kein Ort, wo man Spaß hat, kein riesiges Freizeitzentrum, sondern ein unheimlicher Moloch, der Boote und Leichen, radioaktiven Müll und Scheiße verschluckt. Manchmal, besonders abends, wenn die verschiedenen Grautöne des Meeres mit dem dunkler werdenden Himmel verschmelzen, stehe ich vor meiner Tür und schaue auf die glänzende Wasserfläche; dann stelle ich mir die andere Welt vor, die unter dem Wasser verborgene – und mir wird ganz schwindlig.

    Was also dachte ich mir, als ich mit Michael Daley segeln ging?
    Als er angerufen hatte, um sich mit mir zu verabreden, hatte ich mit begeisterter Stimme geantwortet, ich würde sehr gern auf seinem Boot hinausfahren. Ich mag es, wenn die Leute denken, ich wäre mutig und unerschrocken.
    »Was soll ich mitbringen?« fragte ich.
    »Nichts. Ich habe einen wasserdichten Overall, der Ihnen passen müßte, und natürlich Schwimmwesten. Denken Sie daran, Handschuhe mitzunehmen.«
    »Wasserdichter Overall?«
    »Wissen Sie, so eine Art Gummianzug, wie Taucher ihn tragen – er wird Ihnen gut stehen. Ohne den würden sie um diese Jahreszeit erfrieren, falls wir kentern.«
    »Kentern?«
    »Hat dieses Telefon ein Echo, oder sind Sie das?«

    »Der paßt mir nie im Leben.«
    Ich schaute auf etwas, das einem Bündel von schwarzen und limonengrünen Eingeweiden glich.
    »Sie müssen vorher Ihre Kleider ausziehen.« Wir waren in meinem Wohnzimmer. Danny war nach Stamford gefahren, um Farbe zu kaufen, Finn war zum Laden an der Ecke gegangen, um Milch und Brot zu besorgen, und Elsie befand sich in der Schule. Michael trug bereits seinen Gummianzug unter einer gelben Regenjacke. Er sah lang und schlank aus, aber irgendwie komisch, wie ein Astronaut ohne Raumschiff oder ein Fisch auf dem Trockenen.
    »Oh.«

    »Lassen Sie die Unterwäsche an, vielleicht auch Ihr T-Shirt.«
    »Gut. Ich denke, ich ziehe mich im Schlafzimmer um.
    Nehmen Sie

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