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Ein sicheres Haus

Titel: Ein sicheres Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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Pflanzen im Garten; wie sich herausstellte, hatte ich in einem Anfall von Tatendrang einige der hübschesten ausgejätet und auf den Komposthaufen geworfen. Finn rief uns herein und servierte uns kleine Schalen saftigen Reis mit Pilzen, gefolgt von Huhn, in Olivenöl, Knoblauch und Rosmarin gebraten, und dazu neue Kartoffeln und Frühlingsgemüse.
    »Im Gegensatz zu mir«, erklärte ich Finn über den Tisch hinweg, »sind Sarah und Clyde in London geblieben und haben eine richtige Arbeit.«
    »Sie sollten sich nicht so klein machen, Sam«, sagte Finn mit Inbrunst.
    Sarah lachte.
    »Keine Sorge, Fiona«, sagte sie. »Sam ist eigentlich nicht für ihre englische Bescheidenheit und Zurückhaltung bekannt.«
    »Außerdem ist es keine Bescheidenheit«, sagte ich. »Man macht sich selbst herunter, damit andere widersprechen und einem sagen, wie toll man ist. So kann man auch Komplimente angeln.«
    Finn schüttelte mit einem traurigen Lächeln den Kopf.
    »Das glaube ich nicht«, sagte sie. »Ich glaube, daß die meisten Menschen nicht unabhängig genug sind, um sich anzusehen, was jemand tut, und sich dann selbst eine Meinung darüber zu bilden. Das ist viel zu anstrengend. Die Leute sehen einen so, wie man sich selbst darstellt. Wenn Sie sagen, daß Sie gut sind, glauben Ihnen das die meisten. Und wenn Sie bescheiden sind, werden die anderen auch so von Ihnen denken.«
    Auf Finns mit Leidenschaft vorgetragene Feststellung folgte tiefes Schweigen, das Clyde endlich brach.
    »Und was tun Sie? Wir erwarten nicht, daß Sie sich bescheiden dazu äußern.«
    »Ich schreibe an einer Doktorarbeit«, sagte Finn.
    »Worüber?«
    »Es hat mit der Geschichte der Wissenschaft zu tun.«
    »In welcher Weise?«
    »Sie wollen doch nicht alles über meine Arbeit hören.«
    »Doch, wir wollen«, beharrte Sarah. »Denken Sie daran, wir haben jetzt alle die Erlaubnis zu prahlen.«
    Finn sah mich über den Tisch hinweg an. Ich versuchte, mir etwas einfallen zu lassen, um die Katastrophe abzuwenden, aber alles, was mir in den Sinn kam, schien die Dinge nur noch schlimmer zu machen. Eine lange Pause trat ein, während Finn sich über den Tisch beugte, um die Weinflasche zu nehmen, ihr Glas füllte und dann einen Schluck trank.
    »Wollen Sie wirklich etwas darüber hören?« fragte sie.
    »Wir sind schon ganz gespannt«, sagte Clyde.
    »Also gut, Sie haben es so gewollt. Ich schreibe eine Arbeit über die Taxonomie mentaler Störungen, wobei ich posttraumatischen Streß als Hauptthema behandle.«
    »Und was bedeutet das, wenn Sie es einfach ausdrücken?«
    Finn zwinkerte mir über den Tisch hinweg unmerklich zu, bevor sie antwortete.
    »Die grundlegende Frage, die mich fasziniert hat, betrifft das Ausmaß, in dem eine bestimmte Pathologie existiert, bevor sie einen Namen bekommen hat. Ist sie entdeckt, identifiziert oder erfunden worden? Gebrochene Beine und Tumore hat es immer gegeben. Aber litten die Neandertaler unter posttraumatischem Streß, nachdem sie mit Steinmessern und Äxten miteinander gekämpft hatten?«
    »Nach dem Ersten Weltkrieg gab es den Granatschock, nicht?« sagte Clyde.
    »Ja. Aber wissen Sie, woher der Begriff stammt?«
    »Nein.«
    »Man dachte, die Explosion der Granaten führe zu Erschütterungen des Gehirns. Der Zustand fand zum erstenmal medizinische Beachtung, nachdem Überlebende eines viktorianischen Eisenbahnunglücks Schocksymptome aufwiesen, aber keine körperlichen Verletzungen.
    Man nahm an, daß sie trotzdem physische Ursachen hatten, und bezeichnete das als ›Eisenbahnschock‹. Als ähnliche Symptome in Schützengräben auftraten, war man davon überzeugt, sie seien durch die Schockwellen der Granaten verursacht. Man wollte glauben, daß es sich da um eine andere Version der Dinge handelte, die man als Verletzung bezeichnete. Vielleicht zeigten die Soldaten bloß eine natürliche Reaktion auf den Wahnsinn in den Schützengräben. Aber dann nannten Leute mit Einfluß diese Verhaltensformen Symptome, erklärten sie zu einer Störung und behandelten sie medizinisch.«
    »Und Sie glauben, daß das eine Erfindung ist?«
    »Das ist es, was Sam untersucht.«
    »Wie seid ihr beide zusammengekommen?«
    »Jemand in meiner Fakultät wußte von Sams Forschungsarbeiten. Ich habe Kenntnisse in Statistik, und Sam hatte ein freies Zimmer, und es schien eine gute Idee, daß ich für eine Weile bei ihr bleibe. Ich denke, Sams Arbeit wird das Thema ganz neu definieren und zum erstenmal auf eine richtige, systematische Basis

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