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Ein sicheres Haus

Titel: Ein sicheres Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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über die Abfolge der Tage gefallen. Hatten sie es in diesem Haus miteinander getrieben, ihr Stöhnen unterdrückt? Sie mußten es hier getan haben, in diesem Haus, an dem Ort, den ich ihnen durch mein Vertrauen bereitet hatte. Durch meine Blindheit. Wir waren zu dritt zusammengesessen, und ich hatte die ganze Zeit gedacht, ich wäre der Mittelpunkt, und dabei war ich die ganze Zeit draußen, während sie einander ansahen, elektrische Impulse zwischen ihnen hin- und hergingen, sie sich unter dem Tisch mit den Füßen berührten, zwischen den Zeilen sprachen. Hatte er gestöhnt, wenn er in ihr kam, diesen herzzerreißenden Klagelaut ausgestoßen? Vor meinem geistigen Auge sah ich sie vor mir, er auf ihr, Schweiß auf dem angespannten Rücken, und sie lächelte in sein stirnrunzelndes, angestrengtes Gesicht. Ich wusch mich energisch, massierte Shampoo in meine Kopfhaut, und obwohl ich mich erschöpft fühlte, war ich schrecklich wach. Als ich danach in den Spiegel sah, das gräßliche rote Haar am Kopf festgeklebt, berührte ich die leichten Tränensäcke unter meinen Augen, fuhr mir mit der Hand über die trockene Gesichtshaut.
    Ich sah aus wie eine alternde Krähe.
    Dann zog ich einen alten Trainingsanzug an und machte ein Feuer, knüllte Zeitungspapier zusammen, mischte leere Briefumschläge, die Reste von Klopapierrollen und leere Getreidepackungen unter die Scheite, bis helle Flammen aufloderten, die bald ersterben würden. Jemand klopfte an die Tür.
    »Sam.«
    Michael Daley stand auf der Schwelle, die Arme ausgebreitet: theatralisch, tragisch, lächerlich. Was erwartete er von mir? Daß ich mich hineinstürzte? Er sah so aus, wie ich mich fühlte. Blaß und schockiert.
    »Ach, Michael, so eine Überraschung. Ich frage mich, was Sie zu mir führt«, sagte ich sarkastisch.
    »Sam, seien Sie nicht so abweisend. Ich habe gerade eine Stunde mit diesem Polizisten verbracht, mit Baird. Es tut mir leid, ich kann es nicht glauben, aber es tut mir so leid. Und ich fühle mich verantwortlich. Ich möchte wissen, ob ich vielleicht irgend etwas tun kann. Ich bin unterwegs nach London, aber ich mußte vorbeikommen und Sie sehen.«
    Zu meinem Entsetzen spürte ich Tränen in meinen Augen.
    Wenn ich jetzt anfinge zu weinen, würde ich nicht mehr aufhören. O Gott, ich wollte nicht, daß Michael Daley mich weinen sah. Ich mußte mich zusammenreißen.
    »Was machen Sie denn in London?«
    »Nichts Wichtiges. Ich fliege zu einer Konferenz nach Belfast.
    Fondsanteile. Ein Alptraum. Es tut mir leid …« Seine Stimme erstarb. Ich wandte mich halb um, um wieder ins Haus zu gehen, und spürte auf einmal seine Hände auf meinen Schultern, die mich festhielten. Er roch nach Zigaretten und Wein. Seine Pupillen waren geweitet.
    »Bei mir brauchen Sie nicht tapfer zu sein, Sam«, sagte er.
    »Doch«, versetzte ich und schüttelte ihn ab.
    Aber er nahm mein Kinn in eine Hand und fuhr mit der anderen einer Träne nach. Wir starrten uns einen langen Moment an. Was wollte er von mir?
    »Gute Nacht, Michael«, sagte ich und schloß die Tür.

    23. KAPITEL
    Ich werde nicht verlassen. Ich verlasse selbst. Man demütigt mich nicht. Das ist etwas für andere Leute. Als Heranwachsende war immer ich diejenige, die sich mit dem Jungen hinsetzte und ihm in die Augen sah – oder, wenn ich keine Zeit hatte, die ihn anrief – und sagte, es sei an der Zeit, Schluß zu machen und all das. Es waren meine Freunde, meine Exfreunde, die rot wurden und sich verletzt und zurückgewiesen fühlten. Und ich habe nie an Schlaflosigkeit gelitten. Selbst in den schlimmsten Zeiten, zumindest bis ich aufs Land zog, schlief ich ungestört. Aber in der Nacht danach, als Danny und Finn fort waren, wurde ich wach, meine Haut prickelte, in meinem Kopf summte es, als sei ein Elektromotor eingeschaltet, der nutzlos lief und lief und sich erschöpfte. Ich spürte einen vertrauten Druck am rechten Arm.
    Nicht Danny, es war Elsie, die sanft atmete und fest schlief. Sie mußte in mein Bett gekommen sein, ohne daß ich es bemerkt hatte. Ich küßte ihr Haar und ihre Nase. Mit einer Ecke der Daunendecke wischte ich ihre Stirn ab, auf die eine heiße Träne gefallen war. Ich schaute zum Fenster hinüber. Kein Licht drang durch die Vorhänge. Ich konnte meine Uhr nicht sehen. Und das Zifferblatt des Radioweckers war auch nicht zu erkennen; wenn ich mich bewegte, würde ich Elsie wecken.
    Ich hätte gern ein Skalpell gehabt und tausendmal in Dannys Körper geschnitten, langsam, ein

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