Ein skandalöses Geheimnis: Roman (German Edition)
Da finde ich es nur natürlich, wenn ich mich jetzt ein wenig amüsieren will.«
Sie sah ihn durchdringend an, und seine Worte schienen sie zu befremden. »Sie haben Ihre Familie unterhalten? Was für eine seltsame Art, seine Kindheit zu beschreiben.«
»Es stimmt aber. Würden Sie mich besser kennen, wüssten Sie, dass ich nicht die Gewohnheit habe zu lügen. Nun ja, bald werden Sie Gelegenheit bekommen, das nachzuholen.« Er reichte ihr seinen Arm, ehe sie etwas erwidern konnte. »Sollen wir am Festmahl teilnehmen? Ich werde dafür sorgen, dass Sie die besten Happen erhalten.«
Während des Lunchs belegten erneut Miss Norton und Miss Randolph Leo Wade mit Beschlag, während Susanna stillvergnügt erst hauchzarte Roastbeefscheiben und Taubenpastete verzehrte und sich anschließend noch süßes gefülltes Blätterteiggebäck und gekühlte Limonade holte. Träge lauschte sie Lord Keanes monotonem Vortrag über die Zukunft der Eisenbahn. Eigentlich interessierte sie das Thema, bloß vermittelte er überheblich den Eindruck, ihm ganz alleine beziehungsweise seinen Investitionen sei dieser Aufschwung zu verdanken.
Trotzdem wollte sie ihn nicht von vornherein als möglichen Ehekandidaten ausschließen. Dass er nicht das geringste Interesse an ihr bekundete, entmutigte sie nicht im Geringsten. Sie wusste ja, dass die Männer sie kaum zur Kenntnis nahmen. Bei dieser Landpartie ging es darum, ihnen klarzumachen, dass sie mehr zu bieten hatte, als sie dachten.
»Lord Keane«, unterbrach sie ihn, »ich verstehe Ihre Begeisterung für die Bahn. Es ist offensichtlich, dass sie der Industrie Vorteile bringt und auch die Lebensumstände der Menschen verbessern wird.«
Er drehte den Kopf und sah sie verwundert an. »Natürlich, Miss Leland«, sagte er mit milder Herablassung, doch sie beachtete es nicht. »Aber was fehlt, ist ein einheitlicher Standard bei der Spurbreite der Gleise«, fuhr sie ungerührt fort. »Damit Passagiere, die umsteigen müssen, nicht gezwungen sind, mit einer Kutsche durch die ganze Stadt zu fahren, um den Anschlusszug einer anderen Gesellschaft zu nehmen. Darüber müsste nachgedacht werden.«
Keane wechselte einen vielsagenden Blick mit Greenwich, der sie jetzt mitleidsvoll ansah, als hätte sie über eine Spielzeugeisenbahn geredet, bei der ihr Bruder sie gelegentlich mitspielen ließ. »Noch dieses Jahr wird ein Schmalspurgleis als Standard eingeführt«, erklärte er ihr.
Keane nickte ihr gönnerhaft zu. »Wie ich sehe, lesen Sie brav die Zeitung, Miss Leland. Ich kenne nicht viele Damen, die das tun.«
Am liebsten hätte sie ihm die kalte Schulter gezeigt, weil er ihren Wissensdurst für unangemessen hielt. Aber sie beherrschte sich. Sie konnte ihm auch auf andere Weise zu verstehen geben, was sie von seiner Meinung hielt. »In meiner großen Familie wurden bei Tisch seit jeher geistreiche Unterhaltungen über Gott und die Welt geführt, Lord Keane. Ich genieße solche Gespräche, und sie sind eine Selbstverständlichkeit für mich.«
Die beiden Lords nickten nur kurz und zogen es dann vor, sich Mr Randolph zuzuwenden, der gerade etwas sagte. Susanna bekam nicht mit, worüber gesprochen wurde, bemerkte bloß ein verräterisches, rätselhaftes Lächeln auf Mr Wades Gesicht. Sie ärgerte sich über die Männer und über sich selbst. Nichts wie weg hier, dachte sie. Es kam ihr gerade recht, dass Mr Johnson, der zu den Ältesten zählte, sich gerade mühsam erhob.
»Mr Johnson, ich habe das Bedürfnis, mir die Beine zu vertreten. Leisten Sie mir ein wenig Gesellschaft?«
Sein faltiges Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. »Auf jeden Fall, Miss Leland. Die Glieder werden steif, wenn man sich nicht bewegt.«
Mochten die anderen Männer sie auch ignorieren – sie spürte, dass Leo Wades Blicke sie verfolgten, als sie sich mit dem alten Herrn entfernte. Es war eine neue Erfahrung und ein überraschend angenehmes Gefühl.
Sie plauderte mit Mr Johnson über das schöne Wetter, über seinen neuen Zuchtbullen und die Blumen, die sein Gärtner gerade gepflanzt hatte. Zwischen den Bäumen hindurch erhaschte sie einen kurzen Blick auf den schüchternen Mr Tyler, der am Flussufer hockte und ins Wasser starrte. Was er da wohl trieb? Egal, es interessierte sie ohnehin nicht. Sie dachte nur an Leo Wade und was er von ihren Überlegungen zur Notwendigkeit eines einheitlichen Gleissystems halten würde. Oder fürchtete sie, dass sie sich in seinen Augen lächerlich gemacht hatte? Eine originelle
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