Ein skandalöses Geheimnis: Roman (German Edition)
fand, dass Sie zwischen den Tänzen sehr nachdenklich aussahen, und nun sitzen Sie hier und schreiben Briefe. Wen vermissen Sie so sehr, Susanna? Es sind schließlich erst ein paar Tage vergangen, seit Sie London verlassen haben.«
Er nahm den Brief, an dem sie gerade schrieb. Danach zu greifen würde nur dazu führen, dass er zerriss. »Schon wieder muss ich Sie auffordern, mir mein Eigentum zurückzugeben«, erklärte sie geduldig. »Das ist ein persönlicher Brief an meine Schwester.«
Er ließ das Blatt sinken. »Dann vermissen Sie also Ihre Schwester? Was war eigentlich mit ihr? Man hat sie eine lange Zeit nicht in der Gesellschaft gesehen.«
»Sie war die meiste Zeit ihres Lebens krank.«
»Tut mir leid, das zu hören. Das muss schwer für Sie gewesen sein.«
»Für mich?«, wiederholte sie ungläubig. »Ich bin doch nicht diejenige, die fast gestorben wäre.«
»Wenn ein Kind krank ist, befürchten die Eltern bestimmt, dass es die anderen ebenfalls trifft. In so einer Situation reagieren viele überängstlich.«
»Sprechen Sie aus Erfahrung?«
Er lächelte. »Nein, meine Mutter ließ mich alles machen, was ich wollte.«
»Das habe ich angesichts Ihres Verhaltens und der vielen Verstöße gegen gesellschaftliche Gepflogenheiten bereits angenommen.«
»Sie weichen aus. Also: Wurden Sie wegen Ihrer kranken Schwester besonders stark behütet?«
Er gab nicht auf und würde die Bibliothek nicht verlassen. Aber sie wollte hier nicht mit ihm gesehen werden. Deshalb stand sie auf, nahm ihre Briefe und ging um ihn herum. Er griff nach ihrem Ellbogen.
»Ich habe Sie gestern einen Feigling genannt«, sagte er ruhig. »Und jetzt weichen Sie erneut vor mir zurück, und das am helllichten Tage. Allmählich fange ich an zu glauben, dass ich einen so großen Reiz auf Sie ausübe, dass Sie Angst haben, die Kontrolle zu verlieren.«
Nachdenklich begegnete sie seinem Blick. »Wahrscheinlich hoffen Sie, ich würde die Wette vergessen. Doch das tue ich nicht. Und Ihre Fragen brauche ich schon gar nicht zu beantworten, Mr Wade.«
»Leo«, sagte er erneut.
»Ich kann Sie nicht so vertraulich anreden. Bitte, lassen Sie meinen Arm los.«
»Erzählen Sie mir dann von Ihrer Schwester und Ihrer Cousine und von der engen Beziehung, die sie zueinander haben? Es gibt nur wenige, die ihren Ruf für jemand anderen aufs Spiel setzen würden. Selbst nicht für eine nahe Verwandte.«
»Sie denken immer schlecht von anderen Menschen, Mr Wade.«
Er ignorierte den Einwand. »Zum Ausgleich erzähle ich Ihnen von meiner Freundschaft mit Julian und Peter.«
Sie zögerte, als sie das triumphierende Leuchten in seinem Blick sah. Er schien sich seiner Sache verdammt sicher zu sein. Andererseits erfuhr sie vielleicht etwas, das Rebecca und Elizabeth half, die Pläne der anderen beiden Männer zu durchkreuzen.
»Jetzt habe ich Sie«, sagte er und ließ sie los. »Na los, setzen Sie sich wieder.«
Sie folgte seiner Aufforderung fast automatisch. Mochte er noch so charmant sein – sie wusste, dass sie die Unterhaltung in die von ihr gewünschte Richtung lenken musste.
»Wenn ich also Ihre Fragen beantworte, beantworten Sie mir meine, richtig?«, sagte sie.
»Genau. Und da ich zuerst gefragt habe, müssen Sie auch zuerst antworten. Erzählen Sie mir etwas über Ihre Schwester.«
»Sie ist sieben Jahre jünger als ich. Natürlich hatte ich immer das Gefühl, sie beschützen zu müssen, besonders als sie anfing zu kränkeln.« Sie wandte den Blick kurz zum Fenster, bevor sie mit angespannter Stimme fortfuhr: »Sie haben ja keine Ahnung, was es für ein Gefühl ist, wenn man ein Kind anschaut, das kaum Luft bekommt. Ständig fragt man sich, ob es den nächsten Tag erleben wird, ob man es am nächsten Morgen wiedersieht, ob man ihm am nächsten Abend eine Geschichte weiter vorlesen kann.« Fast schon verlegen, weil sie ihre Gefühle so offen gezeigt hatte, schaute sie ihn an.
Er lächelte nicht mehr, nickte bloß verständnisvoll. »Ich kenne diese Art von Hilflosigkeit, auch wenn ich nur zusehen musste, wie mein Bruder unter grässlichen Kopfschmerzen litt, ehe er blind wurde. Allerdings ist es ungleich schlimmer, in dem Bewusstsein zu leben, dass jeder Tag der letzte sein kann, jede Stunde, jede Minute sogar.«
Sie presste die Lippen zusammen und gestand dann zögernd: »Vielleicht können Sie jetzt die Liebe verstehen, die ich für meine Schwester empfinde.«
»Männer gestehen einander nicht ihre Gefühle«, meinte er und schlug
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