Ein skandalöses Geheimnis: Roman (German Edition)
Nachmittag mit anregenden Gesprächen sein können – einer wie sie ihn sich wünschte, wären nicht beständig ihre Gedanken zu diesem verflixten Leo Wade gewandert.
Obwohl sie bei ihm ständig auf der Hut sein musste und eine deutliche Gefahr von ihm ausging, war sie offenbar dem Reiz des Verbotenen erlegen. Mit ihm lieferte sie sich ständig einen Schlagabtausch, gegen die ihre intellektuelle Unterhaltung mit Mr Tyler zu ihrem eigenen Erstaunen langweilig wirkte.
Außerdem schien dieser Leo Wade erheblich intelligenter und belesener zu sein, als sie gedacht hatte. Was ihr etwa bei seiner Unterhaltung mit Lord Bramfield über Altertümer oder anhand seiner Kommentare zur Klassifizierung der Spezies aufgefallen war. Nur blieb ihr schleierhaft, warum er sich dermaßen verstellte. Sich beständig bemühte, seinem schlechten Ruf zu entsprechen. Allerdings, das rechnete sie ihm hoch an, hatte er sie mit keiner Silbe verraten oder in Verdacht gebracht, als die anderen Herren über die Identität des Aktmodells spekulierten.
Aber das Verwirrendste von allem war, dass sie sich in seiner Gegenwart ihrer Weiblich- und Körperlichkeit in einem Maße bewusst wurde wie sonst nie. Und gleichzeitig seiner Männlichkeit. Sie konnte den Blick kaum von seinen Lippen wenden, seine Dreistigkeit erregte sie, und seine Haare verlockten sie stets, die Finger in den in verschiedenen Nuancen schimmernden Strähnen zu vergraben. Es gefiel ihr, wie der Stoff seines Hemdes an den Ellbogen Falten warf und darunter seine Muskulatur zu erahnen war.
Sie war nicht anders als die Frauen, mit denen er flirtete und die sich von seinem unverfrorenen Auftreten und guten Aussehen angezogen fühlten. Genau wie sie wurde auch sie schwach. Von wegen »eiserne Jungfrau«! Wie er wohl als Ehemann wäre, überlegte sie. Vermutlich würde seine Frau keine ruhige Minute haben und ständig in der Furcht leben, dass er sich anderweitig amüsierte, sobald die Ehe ihn zu langweilen begann. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, und ihr Pferd tänzelte nervös zur Seite.
»Miss Leland?«, sagte Tyler und sah sie besorgt an. »Ist Ihnen kalt?«
Jetzt erst merkte Susanna, wie weit sie mit ihren Gedanken aus der Realität geflohen war. Beschämt lächelte sie und meinte: »Die Sonne geht wohl allmählich unter.«
»Wir sollten zurückreiten, um uns fürs Abendessen umzuziehen«, stimmte er ihr zu. »Meine Mutter sagt immer, man solle sich an die Regeln des Gastgebers halten.«
Seine Mutter. Ständig erwähnte er sie, doch Susanna war sich nicht sicher, ob sie das wirklich für einen charakterlichen Vorteil halten sollte – bei allem gebotenen Pflichtbewusstsein. Überhaupt vermisste sie in seiner Gegenwart diesen Kitzel, den Leo Wade bei ihr auslöste. Von ihrem sehnsüchtigen Verlangen in seiner Gegenwart ganz zu schweigen. Vielleicht aber war das besser so. Immerhin fühlte sie sich wohl in seiner Gesellschaft und geborgen, und ein innerer Gefühlsaufruhr lenkte sie bloß ab von dem, was zählte.
Wichtig war es, einen netten Mann zu finden, mit dem sie sich auf anspruchsvolle Weise austauschen konnte. Und diesem Anspruch genügte Mr Tyler durchaus, schien auch zunehmend Interesse an ihr zu zeigen, wie sie am Abend nach dem Dinner, als man sich im Salon mit Scharaden die Zeit vertrieb, deutlich erkannte.
Allerdings war er nicht der Einzige, der sie beobachtete, denn Mr Wade schien allgegenwärtig. Für Susanna ein völlig unwirkliches Gefühl, dass zwei Männer sie anschauten. Caroline warf ihr immer wieder fragende Blicke zu, die sie jedoch nur mit einem Achselzucken beantwortete. Es war zum Lachen. Ein introvertierter Hobbyforscher und ein gut aussehender Windhund hatten es beide auf sie abgesehen!
Auch den anderen blieb das nicht verborgen. Lady Bramfield und Mrs Norton steckten schon die Köpfe zusammen und tuschelten angeregt, schauten immer wieder zu ihr herüber, sodass kein Zweifel bestand, worüber sie redeten. Vielleicht auch über Leo Wade und seinen schlechten Ruf. Immerhin mussten beide Damen je eine Tochter an den Mann bringen, und Wade erwies sowohl Lady Caroline als auch Aurelia Norton gebührende Aufmerksamkeit. Charmant war er zweifellos, da wurden bisweilen sogar die strengen Mütter schwach.
Jetzt kam er hinüber zu ihr, blieb hinter dem Sofa stehen, auf dem sie mit Aurelia saß und stickte. Er beugte sich nach vorne, um ihnen über die Schulter zu schauen, und die schüchterne Miss Norton stach sich vor Schreck mit der Nadel in den
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