Ein skandalöses Geheimnis: Roman (German Edition)
Kartenspielen und Trinken reichten ihm.
Er sah sie erst wieder am Nachmittag des nächsten Tages. Da sie sich nicht bei den anderen Gästen aufhielt, machte er sich auf die Suche nach ihr. Fragen wollte er nicht, weil das nur unnötig Gerüchte in die Welt setzen würde. Zufällig erfuhr er von einem der Lakaien, dass sie sich Proviant hatte einpacken lassen und mit ihren Malutensilien zu den Resten der römischen Siedlung gegangen war. Bereits aus einiger Entfernung entdeckte er sie mit dem Pinsel in der einen und der Palette in der anderen Hand vor einer Staffelei. Sie trug ein gelb-weiß gestreiftes Kleid, das mit kleinen gelben Blumen bestickt war. Wieso war sie mit einem Mal eine so modebewusste Frau, fragte er sich belustigt. Er musterte ihre schmale Taille, den langen Hals, die geschmeidigen Bewegungen, die gekonnte Handhabung des Pinsels.
Leise bewegte er sich durchs Gras auf sie zu. Dann war er so nahe, dass er erkennen konnte, was sie malte. Wieder einmal überraschten ihn die Empfindungen, die sie mit ihrer Arbeit in ihm weckte – eine Sehnsucht nach der Vergangenheit, die ihm bislang fremd gewesen war. Er ent deckte, dass sie abweichend von der Vorlage eine Gestalt in das Bild eingefügt hatte, nur angedeutet vorerst und doch zu entschlüsseln. Die träge Haltung verriet ihn! Als er näher kam, sah er, dass sie gerade seine blonden Locken ausmalte.
»Das bin ja ich«, rief er erfreut.
Sie schrie auf, ließ den Pinsel fallen und jonglierte mit ihrer Palette, während sie zu ihm herumwirbelte. »Warum schleichen Sie sich so einfach an mich heran?«
»Warum haben Sie mich in Ihr Bild eingefügt?«
Sie hob das Kinn. »Das sind nicht Sie.«
»Das sind meine Haare, das ist die für mich typische Haltung. Susanna, Susanna, Sie haben mich wirklich sehr genau beobachtet. Ich hatte ja keine Ahnung, dass Sie mich so genau studieren.« Bei diesen Worten trat er an sie heran und legte seinen Arm um ihre Taille.
Sie wich zurück. »Fassen Sie mich nicht an, Mr Wade. Lassen Sie mich in Ruhe.«
»Ich glaube nicht, dass Sie das wirklich wollen, Susanna. Sie vermitteln einen ganz anderen Eindruck. Nicht nur weil Sie mich auf dem Bild verewigen. Vielleicht hat ja der Kuss Ihre Fantasie angeregt.«
»Kommen Sie nicht näher – oh, na gut, dann stellen Sie sich eben dorthin, damit ich nicht aus dem Gedächtnis malen muss.« Sie kniff die Augen zusammen: »Sie sehen übrigens weniger mitgenommen aus als die anderen Gentlemen.«
Grinsend vollführte er eine schwungvolle Verbeugung. »Sich Ausschweifungen hinzugeben ist eine Kunst.« Danach begab er sich auf seine Position, und urplötzlich war da wieder dieses merkwürdige Unbehagen, das er geradezu körperlich spürte. Wie eine dunkle Wolke, die sich über ihn legte, oder eine eisige Hand, die nach ihm griff.
Er benahm sich wie ein Idiot. Leo holte tief Luft, wandte sich von den Mauern ab und richtete den Blick auf Susanna. »Es ist warm heute«, meinte er, ließ die Jacke von den Schultern gleiten und warf sie auf einen Felsblock. Sie verfolgte sein Tun mit leichtem Misstrauen.
»Ganz ruhig. Ich bin mit Hemd und Weste völlig angemessen gekleidet«, kam er ihr zuvor und stützte sich mit einer Hand an der bröckeligen Mauer ab, den Blick in die Ferne gerichtet. »Mache ich es so richtig?«
»Ja, stehen Sie ganz still.«
»Dann müssen Sie reden, um mich zu unterhalten. Erzählen Sie mir, warum Sie für das Gemälde Modell gesessen haben.«
Sie antwortete nicht, versteckte sich weiter hinter der Staffelei.
»Sie haben meine Frage nicht beantwortet«, hakte er nach.
Mit funkelnden Augen blickte sie ihn über den Rand ihrer Brille hinweg an. »Das geht Sie nichts an.«
»Ach, kommen Sie. Was macht es schon? Sie sind doch diejenige, die darauf besteht, das Aktmodell zu sein. Um Ihnen das zu glauben, müssen Sie mir ein paar Anhaltspunkte verraten. Seit Sie mir von Ihrem Pakt mit Schwester und Cousine erzählt haben, weiß ich sowieso nicht mehr, was ich denken soll.«
»Ich bin das Aktmodell. Punktum.«
»Ein richtiger Beweis, Susanna. Nicht bloß eine Behauptung.«
Mit einem tiefen Seufzer sagte sie: »Na gut«, und verschwand wieder hinter ihrem Bild. Ihre Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen: »Ich lernte den Künstler kennen, und er überredete mich, für ihn Modell zu sitzen.«
»Ich bitte Sie! Dazu gehört wohl ein bisschen mehr.« Er wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn.
»Ach ja?«, fragte sie und trat hinter der Staffelei
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