Ein skandalöses Geheimnis: Roman (German Edition)
Finger, während sie Wade mit großen Augen anschaute.
Er musterte ihre Stickarbeit mit kritischem Blick. »Miss Norton, welch hübsche Farben Sie für die ländliche Szene gewählt haben. Wie ich sehe, haben Sie gerade mit einem Regenbogen angefangen.«
Während die junge Dame zustimmend nickte, runzelte Susanna die Stirn und fragte sich, was er im Sinn haben mochte.
»Wissen Sie, dass Sie die Farben des Regenbogens falsch angeordnet haben?«, fragte er. »Die richtige Reihenfolge ist rot, orange, gelb, grün, blau, violett.«
Er kannte die Farbfolge auswendig, dachte Susanna ungläubig und beeindruckt zugleich.
Aurelia Norton sah blinzelnd zu ihm auf. »Woher wissen Sie das, Sir?«
»Ich schaue mir Regenbögen nicht nur am Himmel an, sondern habe auch schon einen gesehen, der dadurch entstand, dass Licht durch ein geschliffenes Stück Glas fiel.«
Susanna versuchte ihre Verwunderung zu verbergen. Wie konnte das sein? Woher wusste er das? Ihr fiel keine bessere Erklärung als eine hervorragende Gouvernante oder ein guter Hauslehrer ein, die ihm in seiner Kindheit viel Wissenswertes vermittelt hatten. Trotzdem: So mancher leichtlebige Gentleman sortierte später alle Dinge, die für einen Müßiggänger nicht brauchbar waren, aus seinem Gedächtnis aus.
Als man zu kleinen musikalischen Darbietungen überging, zögerte Susanna zunächst, doch dann spielte sie eine Auswahl von Stücken auf dem Klavier vor und sang dazu. Obwohl ihre Stimme nicht schlecht war, präsentierte sie sich nicht gerne vor anderen.
Als sie ihren Vortrag beendet hatte und den Beifall der Gäste entgegennahm, bemerkte sie, dass Leo Wade den Raum verließ. Eigentlich nichts Besonderes, doch kurz darauf folgte ihm Victoria Randolph mit fast schon schuldbewusster Miene.
Ein verabredetes Treffen? Das Mädchen war erst vor Kurzem in die Gesellschaft eingeführt worden und in jeder Hinsicht eine wirkliche Unschuld vom Land, egal wie ehrfürchtig sie Mr Wade auch anstarren mochte, wenn er es nicht sah. Bestimmt hatte sie keine Ahnung, was sich hinter der attraktiven Fassade verbarg – selbst die Eltern schienen ihn zu mögen, als hätten sie noch nie eine der Geschichten gehört, die über ihn kursierten.
Susanna fühlte sich irgendwie für Victoria verantwortlich. Zwar vergriff Leo Wade sich nach eigenem Bekunden nicht an Debütantinnen und anderen sehr jungen Mädchen, aber stimmte das auch? Während Mary Greenwich mit ihrem reinen Sopran ein Lied anstimmte, schlich Susanna sich unauffällig aus dem Salon, bog nach links ab, wo es zum hinteren Teil des Hauses ging und zum Wintergarten, denn diesen Weg hatten auch die beiden anderen genommen.
Als sie in die schwüle Wärme des Wintergartens trat, entdeckte sie sie fast auf Anhieb auf der anderen Seite des Springbrunnens. Sie küssten sich. Obwohl sie ihn so und nicht anders einschätzte, reagierte sie bestürzt. Und ein wenig gekränkt. Dabei machte er ihr ja gar nicht den Hof, wollte von ihr bloß Informationen, um eine Wette zu gewinnen, und amüsierte sich nebenbei ein bisschen mit ihr. Trotzdem schien es ihr irgendwie schamlos. Schließlich hatte er sie ebenfalls geküsst, wenngleich nur flüchtig.
Er sah das offensichtlich nicht so und hatte überdies keine Probleme damit, sie hinsichtlich seiner angeblichen Prinzipien dreist anzulügen. Wütend über ihre Naivität machte sie auf dem Absatz kehrt und verließ den Wintergarten.
Sie war keine fünf Schritte gegangen, als sie eine schreckliche Entdeckung machte: Mr und Mrs Randolph steuerten direkt auf den Wintergarten zu. Unentschlossen blieb Susanna stehen. Das konnte jetzt aber wirklich unangenehm für Leo Wade werden. Und für das arme Mädchen auch. Victoria würde womöglich, weil sie sich hatte kompromittieren lassen, bis an ihr Lebensende durch eine Ehe an so einen Schuft gekettet werden.
»Susanna«, rief Mrs Randolph in ihrer offenen, freundlichen Art. »Ich muss noch einmal wiederholen, wie talentiert Sie sind. Nicht nur beim Malen, auch am Klavier.«
»Danke, Madam«, erwiderte Susanna und unterdrückte den Impuls, über die Schultern zurück in den Wintergarten zu schauen. Was sollte sie bloß tun? Wenn die Randolphs die beiden entdeckten, wäre alles zu spät.
»Ihnen liegt alles Künstlerische«, meinte Mr Randolph. »Unsere Tochter spricht ständig davon, was für eine begabte Malerin Sie sind. Wir sind sehr davon angetan, dass Sie Victoria unter Ihre Fittiche genommen haben.«
Damit war bei Susanna die Entscheidung
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